Gepixelte Kühe
Ron Winkler entzaubert das Naturgedicht


Glotzt nicht so romantisch!“: Brechts Aufforderung würde sich als Motto für die neuen Gedichte des Berliner Lyrikers Ron Winkler gut eignen – freilich kommt Brecht als Referenzgröße für einen ironisch durchtrainierten Bewusstseinspoeten wie Winkler nicht in Frage. In seinem dritten Gedichtband zelebriert der 1973 geborene Berliner Lyriker die Entzauberung romantischer Naturpoesie, indem er den alten Naturstoff mit Fachsprachen vor allem aus der digitalen Welt konfrontiert. Die lyrische Aura von altehrwürdigen Wörtern wie „Regen“, „Vogel“ oder „Schnee“ zitiert er in fast jedem seiner Gedichte – aber nur, um sie dann mit wissenschaftlichen Vokabeln zu konterkarieren.

Schon der Titel seines Gedichtbuchs übt die Kollision zwischen alter Naturmagie und neuer digitalisierter Wahrnehmung der Welt. „Fragmentiert“ werden meist Festplatten, keine „Gewässer“. „Der Regen“ wiederum, der in der Lyrik traditionell zu den Ingredienzien der Melancholie gehört, schrumpft bei Winkler zum positivistischen „Sachverhalt Regen“, dem in hübscher Tautologie auch noch „Hydrogenität“ attestiert wird. Flüchtige Dinge wie „Wolken“ werden nicht besungen, sondern in fortschreitender Ernüchterung zu „stillen Tracks in der Tabulatorfunktion Wind“ profaniert. Und wenn dann noch, archaisch-ländlich, „Kühe“ oder „Rehe“ auftauchen, dann können sie nur durch den Filter eines Aufzeichnungsmediums oder in digitalisierter Form betrachtet werden. Im „X-Referentiellen Selbstporträt“ werden die Tiere allzu demonstrativ in rein visuelle Reize verwandelt: „Kühe, jaja, sie stolzierten / umher wie merkwürdige Schreibmaschinen. / dabei waren es gar keine Kühe. / eher in Pixel gefasste schwarzweiße Momente.“

Man registriert bereits auf der ersten Seite dieses Gedichtbuchs, dass sein Autor die Urelemente der Poesie – Wasser, Wolken, Schnee, Jahreszeiten – szientifisch-technizistisch in die Schranken weist. Abgesehen von drei, vier erzählenden Kindheitsgedichten, die ohne wissenschaftliche Prunkzitate auskommen, setzt Winkler ganz auf seine Fachsprachen-Virtuosität. Er macht das mit idiomatischem Esprit und kühnen Bildfindungen. Als lyrischer Diskursmischer vermag er über weite Strecken seines Bandes zu brillieren, nur will er mit ungestilltem Neologismen-Hunger immer noch eine Pointe draufsatteln. Seine metaphorische Eloquenz neigt zu Slapstick hart an der Grenze zum Kalauer. Es wimmelt dann von Fügungen wie „die Existenzform Frosch betreibt ein Lautaggregat“ oder „das Laub enthält keine Revolverblätter“, deren aphoristische Reize rasch verpuffen. In seiner „Köderlandschaft“ ist Ron Winkler ein lässiger Flaneur. Aber die Mahnung in seiner „High End Erfahrung“ sollte er auch auf sich beziehen: „möge er sich nicht vergoogeln / in diesem stark nachlassenden Wald“.


Michael Braun

Ron Winkler – Fragmentierte Gewässer, Berlin 2007