„Mein heißes Auge sieht sich niemals satt“
Sämtliche Sonette von Edmund Spenser

 

Dass es eine englische Literatur vor Shakespeare gegeben hat, gerät manchmal in Vergessenheit. Zumindest wird der Eigenwert einer solchen Literatur nicht immer gewürdigt. Shakespeare z.B. ließ sich zu seinen berühmten Sonetten wesentlich von Edmund Spenser anregen, der im Anschluss an seinen Kollegen Sir Philip Sidney im 16. Jahrhundert dafür gesorgt hatte, dass die Sonettkunst eine neue Blüte erleben durfte (nachdem sie zuvor eine Weile aus der Mode gekommen war). Ähnlich mag Alexander Nitzberg zu seiner Übersetzung „sämtlicher“ Sonette dieses Spensers, die er im Jung und Jung-Verlag vorlegt, inspiriert worden sein durch eine in Deutschland neu beflügelte Reim- und Formliebe, wobei eben das Sonett dabei besondere Würdigung bei Jan Wagner, Ann Cotten u.a. gefunden hat. Dies Phänomen mag wiederum auf die Neuentdeckung des Sonetts durch Autoren wie Inger Christensen zurückgehen. So entsteht Literatur aus Literatur.

Wenn Nitzberg von Spensers sämtlichen Sonetten spricht, so meint er die zu Lebzeiten als „Amoretti“ erschienenen Sonette und den weniger umfangreichen Zyklus „Visions of the Worlds Vanitie“. Nitzberg geht in seiner Liebe zum Sonett so weit, dass er das ursprünglich den „Amoretti“ beigefügte „Epithalamion“ weglässt, da nicht in Sonettform geschrieben.
Das wirft natürlich ein besonderes Licht auf das Werk Spensers. Während die Sonette nämlich einen zweifelnden und gequälten Menschen porträtieren, der mit seiner Auserwählten und ihrer „Härte“ hadert, lobpreist das weggelassene „Epithalamion“ der „Amoretti“ die Hochzeit mit eben jener Frau.
So lernt man Spenser vor allem als einen zur Überhöhung und Klage neigenden Dichter kennen, der aus der erfahrenen Ablehnung heraus spricht: Dichtung als Leidensausdruck.

Nitzberg, der sich ja bisher als Übersetzer aus dem Russischen einen Namen gemacht hat, geht mit Verve ans Werk. Und zwar so vehement, dass es scheint, er hätte als Übersetzer erst in der Arbeit an dieser frühen englischen Dichtung ganz zu sich gefunden. Hier wird wie zu alten Zeiten gereimt und gedichtet, dass die Lilien sprießen. Nitzberg porträtiert folgerichtig Spenser in seinem Nachwort auch als einen Dichter mit großer Vorliebe für antiquierte Wörter und einen feierlichen Ton. Er habe die Form zur Vollendung getrieben.
Nitzberg erschwert sich sogar seine Aufgabe, indem er in Anlehnung an die deutsche Dichtung jener Zeit ausschließlich männliche Reime verwendet, ein nicht ganz leichtes Unterfangen, wenn im Gedicht bis zu vier Mal gereimt werden muss. Doch merkt man seinen Übersetzungen dies kaum an, im Gegenteil: sie haben fast zu viel Schwung.
Man fühlt sich zuweilen wie in einem vollgepropften Antiquitätenladen, in dem man das seltene Amulett schwer vom Imitat oder von Talmi unterscheiden kann.

Manches reimt sich süffig, anderes wirkt brillant. Nitzberg versucht, wo er stark vom Original abweicht, eine dem Thema adäquate Genauigkeit zu finden, doch zieht er im Zweifel den Klang einer möglichen Prägnanz vor.
So kommt es hin und wieder zu gestelzten Wendungen wie „Begehrst du einen Bund“, „bestrafen soll das sünd’ge Menschenland“ oder „gefrönt der Ketzerei!“. Es mag sich dabei um Kleinigkeiten handeln, doch wäre, um den feierlichen, dazu schmachtenden Tonfall eines Spenser wiederzubeleben, nicht manchmal etwas mehr Zurückhaltung angebracht gewesen, ein Weniger an Pomp?

Klang und Einfallsreichtum seiner Übersetzung sind indes auf jeden Fall beachtlich. Schön doch eigentlich, dass Nitzberg so leidenschaftlich und zugleich äußerst formkontrolliert nachzudichten weiß. Der getragene Tonfall entfaltet durchaus seinen Reiz: Prächtige Poesie mit ein bisschen Patina. Denn zugegebenermaßen gibt, was diese Übersetzung ein wenig zu barock sein lässt, ihr andererseits Glaubwürdigkeit.
Es mag Nitzberg wie dem lyrischen Ich ergangen sein: “Mein heißes Auge sieht sich niemals satt“– Man findet eine Fülle von Gefühlen noch und noch in edlen Reim gegossen. Zum Lesen bedarf es einer „Lilienhand“ und eines irgendwo unschuldigen Herzens. Wohlan! Ran an den Reim!


Hendrik Jackson

Edmund Spenser. Die Lilienhand – Alle Sonette. Englisch- Deutsch, Übersetzung von Alexander Nitzberg, Salzburg 2008