Entdeckerfreude
Sonette von Ann Cotten


Ann Cotten, 1982 in Iowa geboren, in Wien aufgewachsene, bilinguale Austro-Amerikanerin, ist der neue shooting star der jungen Literaturszene; noch vor Erscheinen wurde ihr Debutband bereits euphorisch akklamiert. Bekannt durch Auftritte bei Poetry Slams, entsemantisierten phonetischen Projekten mit Liesl Ujvary und Veröffentlichungen im Internet und in Zeitschriften wie „Zwischen den Zeilen“ und „Kolik“, legt Cotten nun ihre erste Publikation aus achtundsiebzig durchnummerierten Doppelsonetten vor.
„Ich mach Sonette über Oberflächen fremder Betten“ (56)*, proklamiert Cotten, und lässt die Jamben fünffüßig durch ihre Blankverszeilen hüpfen. Da kann schon eine auch einmal nur aus „Kaffee Kaffee Kaffee Kaffee Kaffee“ bestehen (51) oder sich virtuos mit aussetzendem Atem in Aussparungen und leeren Raum erstrecken. So sehr sie ihn liebt, so sehr rebelliert sie (ähnlich wie Nietzsche in „Dichters Berufung“: „Ja mein Herr, Sie sind ein Dichter / Achselzuckt der Vogel Specht“) gegen den ansteckenden Rhythmus- und Reimdrang, mit dem sich alles und nichts verbinden lässt: „Ich mag nicht mal die Reime mehr, trete sie mit Füßen.“ (51)

Cotten spielt sich durch allerlei Sonettformen und Variationen, ob in kreuzweise reimenden Quartetten, in Alexandrinern mit Diärese und Hebungsprall oder in Terzetten mit Reimen in umschlingender Stellung, in Erweiterungen wie Schweifsonett (dem ein Schlussvers nachgestellt wird), aber da sind auch heftige Ausfälle in alle Richtungen, ein sich Freischlagen durch sprachliche Kanonaden, die Breschen legen in Formen und Erwartungen. Nahtlos integriert sie englische Ausdrücke, Phrasen, Worte in fließenden Übergängen und Klangspielen: „short of amorph“ (31) „Gestrandet on the rocks of this Getränk“ (45). Ein Sonett mit dem Titel „Sechzehn und zu wütend um zu bluffen“ stampft daher in Assonanzen: „No bluff! snuff cuff rough love stuff’s tough enough“ und lässt noch eine Kaskade auf den i-Vokal folgen: „O kiff stiff lips brick kid sniff myths and nick a whiff“. (49) Kaum je findet sich in der Lyrik die solcherart formulierte Darstellung einer schulischen Situation und der Wut, das Leben zu begreifen, mit einem so hilflosen wie trotzigen „ich komm schon klar. Ich hab mich nie beklagt“, um zum heilsamen Rundumschlag auszuholen: „Ich box mal in den Dunst, es wird schon jemand treffen./ Jeder verdients, doch, dass es hilft, kann ich nur hoffen.“ (49)

Im Teilchenbeschleuniger ihrer Sonettbahn lässt Cotten altmodische Ausdrücke wie „west“, „weiland“ und „Kratzfuß“ und den zähneknirschend raunenden Ton hehrer Lyrik aufeinander prallen mit Slang-Formen, Kraftworten, ungrammatischem Sprechen bis hin zu neuen Elementen aus Glossolalie und Psitazismus. Mal tänzelt sie zierlich „entlang der Kante des Bewusstseins“ (32), mal taumelt und stolpert sie irritierend einher, dann wieder parliert es im hohen Ton eines Heine: „Und sage nicht, wir hätten’s nicht versucht“ (13). Wenn ihr mal die Gedankenlyrik ins Diskursiv-Analytische zu entgleiten droht, biegt Cotten ihre Jamben „zart und hart“ (38) in Enjembaments und zwingt sie in beiläufig eingestreute Reime. Neben einer Fülle von Komposita („Synapsenleichen“, „Strobomücken“ etc.) verblüffen gewinnend „falsche“ Metaphern: „Hat Auge dann an dieser Spiegelung zu kaun“ (33). So viel wie um den Sinn geht es um Sinnlichkeit und Sinne in diesem tastenden und testenden, so vertrackten wie geschmeidigen Umgang, der blinzelnd gegen die Sonne steht: „Am Küsschen brennt die Wange, tongue in cheek“ (41).

Wie ein DJ arbeitet Cotten mit lyrischen Samplern und mischt den Bodensatz der deutschen Lyrik neu auf. Durch die Sonettform wird Rhythmus und Struktur unterlegt und darüber hin agogisch gescratched, mal im schnoddrigen Ironieton Heines, mal im Rilkeschen Einsamkeitspathos, mal mit Nietzsche-Euphorie, Hölderlinschem Fahnengeklirre oder Schillerschem Balladenton, darunter hin aber pocht ostinativ die jugendliche Vehemenz. Paradoxe Formulierungen und Oxymora überraschen, die schon aufgrund der suggestiven Assonanz zwingend scheinen: „klarer Krach“ (52), quasi-tautologische Prim-Reime (drei Mal zwei Zeilen auf das selbe Wort endend) kommen flapsig, dann wieder lakonisch oder kompromisslos daher, und immer wieder sind es Widerstands- und Abwehrformen gegen die Enttäuschung durch das Gefühl: „ich arbeite daran / alles was weh tut … zu kürzen.“ (51)

Eigentlich müsste man dieses Büchlein von der Mitte auseinander lesen: Seine achtundsiebzig Gedichte sind als zwei von vorne und hinten kommende Stränge aufgebaut weniger symmetrisch zu denken als sich überkreuzend und wie in einem großen X angelegt. Anfang und Ende sind damit die entferntesten Punkte einer Begegnung, und die Kreuzung (39/40) ist kein Aufeinandertreffen, sondern ein sich Schneiden, Überqueren und schon wieder Verlieren hinaus in den offenen poetischen Raum. Das ist elegant und eindrücklich angelegt, wenn auch im Text nicht unbedingt aufzufinden, liest man das Buch ahnungslos von vorn. Nichts ist zwanghaft über-erfüllt an diesem Maß, sondern das Maß ist zwanglos gesprengt, wenn die Verdichtung danach ruft.

Natürlich sind alle Wörter gleich fremd in diesen „Fremdwörterbuchsonetten“, man spürt die Entdeckerfreude, das Staunen an den Wörtern, und manche machen neugieriger als andere, etwa „isanabase“ oder „loxodrom“, die hell wie die weißen Pinienkerne im dunklen Schokoladekuchen stecken. Weniger Sprachskepsis, -zweifel oder -philosophie ist das Thema, sondern Sprache als ein sinnliches Organ, das Cotten abklopft und exploriert, im Rahmen der Ich-Findung zwischen den Objekten und den Ich-Findungen jener, mit denen Cottens lyrisches Ich manchmal schmerzhaft, manchmal aber auch hinreißend und mitleidlos kollidiert.
Die kleinen graphischen Vignetten im Buch stammen aus der Hand der Autorin, wie auch eine Zeile resümiert: „Wer zeichnet bleibt daneben und autark“. (10) Auch wenn es mal heißt, „der Reim verfliegt, das Versmaß scheitert und da stehst / du umlaubt von trashigen Sonettkränzen“ (46): Mir ist nichts Denkbares bekannt, für das 8 Euro 80 besser angelegt wären als wie für dieses Bändchen.


Martin Kubaczek

Ann Cotten: Fremdwörterbuchsonette. Frankfurt/Main 2007