Metarealist

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch vergangener Woche starb in Köln mit Alexej Parschtschikow einer der wichtigsten Lyriker Russlands. Er wurde der so genannten Strömung der „Metarealisten“ zugerechnet, der in den achtziger Jahren aufregendsten Gruppierung neuerer russischer Lyrik. Zu der Gruppe zählt man außer Parschtschikow noch Alexander Eremenko, Iwan Shdanow und Ilja Kutik.
Alexej Parschtschikow, 1954 geboren, studierte in Moskau und Stenford (USA) Literatur. Sein erster Band „Formen der Intuition“ erschien 1989 in Moskau. Er erhielt in den letzten Jahren zahlreiche Preise und lebte seit 1995 in Köln.
Ende Herbst wird endlich auch in Deutschland ein Band mit Gedichten Parschtschikows erscheinen (kookbooks).

Im Gegensatz zu den irrational wilden Versen eines Shdanow ist der „Metarealismus“ Parschtschikows der genauen Beobachtung verpflichtet. Zwar galten seine Verse oft als dunkel, sie sind jedoch eher überladen und verdichtet, inspiriert von Malerei und Philosophie. Sein Schreiben basierte auf dem Aufspüren innerer und visueller Ähnlichkeiten. Seine Vergleiche zielten nicht auf Effekte und auch nicht auf rauschhafte surreale Momente, sondern darauf, neue und wesenhafte Verbindungen zwischen Wörtern und Dingen herzustellen und zu entdecken.
Er glich dabei, in seinen eigenen Worten aus seinem vielleicht großartigsten Poem „Erdöl“, einer Wahrsagerin, die „mit dem Finger über den Globus fährt und dabei die Tiefseekabelverbindungen für Fluglinien hält“. Er flog diese unterirdischen Verbindungen der Wortarchipele mit einer Geschwindigkeit ab, die betäubend wirken konnte. Eine Dichtung der Zwischenräume, „dort, wo die Flüsse umgepolt werden“.
In seiner Lyrik wurde eine schöne Begeisterungsfähigkeit spürbar, wenn er aus den kleinsten Beobachtungen Bild um Bild entfaltete.

Auch wenn der Einfluss der Metarealisten in den letzten Jahren in Russland abnahm, da man sich mit ihnen als mit „lebenden Klassikern“ verdächtig arrangiert hatte, so gibt es doch kaum einen Dichter und schon gar keine dichterische „Schule“ in Rußland, die bisher an ihre Stelle hätte treten können.
Traurigerweise vollzog sich nun auch an Alexej Parschtschikow das scheinbar unvermeidliche Schicksal großer russischer Dichter, die immer zu früh und meist unter tragischen Umständen sterben. Er wäre in diesem Jahr 55 geworden und wird der russischen Lyrik mehr fehlen, als es ihr bisher bewusst geworden ist.

Hendrik Jackson

7.4.2008 Erstabdruck FAZ