Wanted
Nora Gomringer ist angeklagt. Angeklagt wegen vorsätzlicher, nichtkonformer
Sprachverwendung. Des Weiteren wegen Betrugs an den Lesererwartungen, Körperverletzung
am lebenden Wort, Sprachverwirrung des Volkes und Drohung, sollte man ihrer
Ideologie nicht Folge leisten. Außerdem leugnet sie die uneingeschränkte
Geltung der grundgesetzwürdigen deutschen Sprache, von ihr als „altbekannt“,
also altbacken, bezeichnet. Sie hat gestanden. In einer Selbstaussage heißt
es, „dass ich zaubere, so etwas wie Magie liefere“. Ist sie gar
eine Hexe? Und das ausgerechnet aus einer erzkatholischen Gegend.
Erkennungsmerkmal: Sie kann nicht ordentlich sprechen. Sie spricht in einem
ganz eigenen, hervorstechenden Rhythmus. Sie singt, heult, schreit, flüstert,
seufzt, kechelt, hechelt und klefft, winselt und stöhnt; lesen tut sie
nicht. Mit ihrer Streitschrift Klimaforschung mockiert sie das öde Sprachgeplätscher,
um Wind und Wetter zu verändern. Klarer Fall: Blasphemie. Nach dem letzten
offenkundigeren Titel Sag doch mal was zur Nacht, in dem sie mit ihren Wortwiederholungen
reine Gehirnwäsche betrieb, den Leser mit ihren fiktiven, plotlastigen
Geschichten in ihre Welt zu entreißen versuchte, und selbstthematisierend
ihr Sprachdelikt ausgelotet hat, versucht sie mit Klimaforschung ihre Taten
lyrisch zu verdunkeln. Wie in Silbentrennnung will sie anscheinend wieder „von
Verdichtung / und Ausdünnung / Sprechzeugnis ablegen / in aller Kürze“.
Das heißt nichts anderes als geballte Schlagkraft in leisere Töne
gepackt. Die Frau ist gefährlich. Gemeingefährlich: „Sprich
meine Sprache / Feindlich auf den Ton / Den letzten / Angesetzt ein Messer /
An der Kehle / Röchle, was uns trennt“.
Der Leser sei auch auf die Hinterhältigkeit ihrer Methoden hingewiesen:
Die Gefahr sich dem rauschenden Tanz ihrer Sprache hinzugeben, um anschließend
um so schmerzvoller auf ihrer Gletscherzunge auszurutschen, ist groß,
sogar sehr wahrscheinlich. Mit ihrem Vokalismus untergräbt sie die tragenden
Säulen unserer Sprache, und nicht nur Lion turnt sich heillos schwindelig.
Ein Turnverein alter Schule wie der VDS dürfte es mit Argwohn sehen, wenn
Frau Gomringer nicht nur dem deutschen Wort die Haut abzieht und den Wortbestand
entzweit wie „Nachtigall: Nacht in Galle [...] Sommernacht: Sommer und
Schlacht / Dichtung: Dichter und Dung“.
Keinem sei geraten ihren Entwürfen von Liebe nachzueifern. Das Herz ist
verunfallt, bevor es eingepflanzt wurde. Liebe ist extrem. Liebe fordert Selbstaufopferung
und setzt einen Brand mit Explosionen und Sprühregen, der im nächsten
Moment mit weißer Wandfarbe gelöscht und übertüncht wird.
Liebesrost kommt über Nacht. Was bleibt, ist der Nachhall, sind Sprachschwingungen
im Echoraum. Einsamkeit und Vergänglichkeit sind die Themen mit denen Frau
Gomringer Suggestion ausübt. Liebe ist fast mechanisch und lässt sich
auf die Formel Liebe = Ariadnes Wollknäuel + Monster bringen.
Mittlerweile wird Frau Gomringer von ganzen Menschenmassen verfolgt. Deswegen
hält sie sich nie lange an einem Ort auf, und vollzieht eine unkontrollierte
Bewegung über den Erdball, um ihre Kunst zu verbreiten. Eine Aussicht auf
Änderung ihrer Absichten besteht nicht. Diese Frau lässt sich nicht
verbiegen. „Lass mich sein / Lass mich sein, was / Meine Maserung vorgibt.“
Allerdings neigt sie zur Gefahr der Selbstauflösung. In der Suche nach
Identität und nach Wurzeln. Die überträgt sie mitunter auf ihr
höriges Volk.
„Sucht nach den Dichtern, die euch nach Geld fragen
Sucht nach den Dichtern, die einen Satz verfolgen
Sucht nach den Dichtern, die müde sind
Sucht nach den Dichtern, die mehr verlieren als sie finden
Sucht nach den Süchten, die Dichter machen“
Nora Gomringers Metier ist nicht mehr nur die Anapher, die Alliteration und
der Vokalismus, um genügend Wirkung und Performanz für Sprechtexte
zu erzeugen, sondern Klimaforschung ist ein Schritt in Richtung konventionelle
Lyrik. Was Nora Gomringer gedruckt - man unterscheide Nora Gomringer gedruckt
und Nora Gomringer gesprochen - ausmacht ist ihr lyrischer Blick für den
Alltag, gepaart mit Fiktion, Märchen und Mythos. Klimaforschung wird dafür
sorgen, den elitären Lyrikkreis weiter zu demokratisieren. Sag doch mal
was zur Nacht wollte noch popularisieren. Nora Gomringer ist noch immer gefährlich.
Für den Strickjackenphilister. Weil sie vital und innovativ ist, weil sie
die Lyrik auffrischt und erweitert. Ohne Nora Gomringer wäre es ganz schön
duster. „Wenn du die Welt verlässt und der letzte bist, mach bitte
das Licht aus“.
Walter Fabian Schmid
Nora Gomringer: Klimaforschung. Voland & Quist 2008