die dritte hand

du kannst deinen kopf benutzen als eine dritte hand.
der schrank. diese liebe. haltung. und gehalten.
solch weit entferntes kleid war uns die angst.
ich hatte einen schal. er hatte einen angellatz.
du bekommst jetzt deinen platz, in der fügung,
durchaus unfroh. richtig in der rückschau, giftig
in der gegenwart. und zwischen den augen ein auge.

nein, das kann nicht sein, dass ich das gewesen bin,
die jewedes dieser leben in der hand gehalten hat,
und zugedrückt. sie waren doch spurlos, die kuppen
warn tasten in einem raum, der sich selber entfernte,
als er nichts mehr enthielt. ich atmete licht. die katze
kam zu mir, denn die arbeit war ich. die zerstörten wurden
noch am selben tag miteinander verkuppelt. amen.

hier im portfolio der invaliden, die mir nicht glaubten,
gibt es nachbilder davon. stiefel an. schnalle auf.
bändel lockern. riesenbusen meistern. straßen teeren.
stellen brennen. um vergebung betteln. aber ich, ich –
bin doch hier und bin aus mensch, ich trage sorgfalt
als eine brille, ein halsband, ein lebendiges pfand.
lassen sie zeit sich oder mich auch nur mal zur ansicht.

und hatte schon immer das ding eine schwäche,
für etliche schmerzen. dann wärs ja ganz recht.
wann ist die rage verklungen? ja, bin ich im selben,
wir alle hier sind im selben geblieben und teilen
dieselbe nacht, zumindest, was ihre neige angeht,
seinesgleichen, ach würd eins doch seinem gleichen
und erheiterte ihn, würd ich leben nehmen erheitert.



Drei Thesen, dreihändig
Zu einem Gedicht von Monika Rinck


Eine Memme ist eine Memme ist eine Memme. Soviel steht fest. Eine Memme ist jemand, der Dinge nicht fest fixieren kann, sondern wegguckt, um vermeintlich Gefährliches nicht sehen zu müssen, sondern sich daran vorbeischummeln zu können. Auch wenn den Dingen womöglich überhaupt nichts Gefährliches anhaftet. An dieser Stelle kommt meine erste These:

Monika Rinck ist keine Memme.

Was sie anpackt, packt sie offensiv an. Sehr offensiv. du kannst deinen kopf benutzen als eine dritte hand. Dieser Satz fordert mich auf, genau das zu tun. Der Kopf wird gleichwertig zur Hand, von der aber zwei da sind – also ein Wertdrittel Kopf, ein Wertdrittel die eine, ein Wertdrittel die andere Hand. Das ist mir neu. Ich hätte den Kopf als Wertvollstes angesehen. Eine wunderbare Art, solch eine Einstellung in Zweifel zu ziehen. Finden Sie nicht? Eine Memme würde sich das nicht trauen. Für so jemanden ist die Angst ein wirklich weit entferntes Kleid, denke ich. Der Kopf packt zu, tastet und fühlt. ich hatte einen schal. er hatte einen angellatz. Das hat er rausgekriegt. und zwischen den augen ein auge. Ist der Kopf in dieser Funktion verlässlich? nein, das kann nicht sein, dass ich das gewesen bin, die jedwedes dieser leben in der hand gehalten hat,… Im Kopf. In der dritten. Aber wenn ich das denke, halte ich es doch gerade in der dritten. Im Kopf! Verwirrend. Monika Rincks Kopf macht es vor, was bleibt mir da, als ihm zu vertrauen. Und in der Tat: Das Vertrauen in Monika Rinck muß grenzenlos sein, um ihr folgen zu können. Sie ist keine Memme, aber eine Hautflüglerin, die schwirrt und sirrt und summt und brummt, ohne sich irgendwo niederzulassen. An dieser Stelle kommt schon meine zweite These:

Monika Rinck nähert sich ihren Gegenständen bis auf kleinste Entfernungen, aber sie verschmilzt nicht mit ihnen und bleibt immer in Bewegung dabei.

Wie komme ich darauf?
Der Hand- und Kopffinger kuppen warn tasten in einem raum, der sich selber entfernte, als er nichts mehr enthielt. Als also die Kopf- und Handfinger als letztes daraus verschwunden, als Konstituenden des Raums nicht mehr auszumachen waren. Wenn weder Kopf noch Hände in einem Raum sind, ist er nicht mehr Raum. Richtig? Was dann? ich atmete licht. die katze kam zu mir, denn die arbeit war ich. Im luftleeren Nichtraum bleibt nichts anderes, als Licht zu atmen, eine Arbeit ist das, ist man, wenn man so etwas tut, wo doch die Lungen auf Luft aus sind. Das Atmen ist unter diesen Umständen womöglich für die Katz. amen. Raum fort. Luft ab. Die letzten Reserven werden für überstürzte, japsende Paarung verwandt. Wer´s nicht glaubt, kann im portfolio der invaliden ... nachbilder davon sehen: In Stiefeln schnalle auf. bändel lockern. riesenbusen meistern. Aber auch straßen teeren und stellen brennen, denn ich bin und ich bleibe ja Arbeit. Trotz allem. bin aus mensch … trage sorgfalt als eine brille …
So könnte es sein. Oder aber ganz anders? Sie brauchen Vertrauen in Monika Rinck, ihr aufzusitzen, der Hautflügerin, und mitzufliegen zu den Dingen, die sie sehr genau ansieht. Aber das tut sie eben für Momente, in denen Sie ihr folgen können oder nicht. Ihr unausgesetzter, sirrender Positionswechsel führt dazu, die Dinge in raschester Folge aus leicht unterschiedenen Perspektiven wahrzunehmen. So, als wäre sie in der Lage, die Flimmerverschmelzungsfrequenz willkürlich ins Unendliche zu dehnen und Einzelbilder zu sehen, die uns nur als ganze Bewegung zugänglich sind. So bleibt für Sie vielleicht ein völlig anderes Nachbild übrig, lesen Sie den Text und seine Teile womöglich auf völlig andere Weise. Ich denke, das weiß sie und stellt es Ihnen frei. lassen sie zeit sich oder mich auch nur mal zur ansicht. O-Ton. Ja, lassen Sie sich Zeit. Oder: Lassen Sie mich auch nur mal zur Ansicht, ich verändere mich nicht so schnell, wie mein Blick die Dinge verändert. In diesem Sinne: Zeit, die Sie sich nehmen, heilt die Wunden wieder, die mein rasender Blick riß. (Das ist kein O-Ton, das habe ich Monika Rinck in den Dichterinnenmund gelegt, wo es bleibt, bis sie es rausschmeißt. Das kann schnell gehen.)

Zeit für die dritte These? Halt, doch lieber nicht so schnell. Zeit soll ja heilen. Auch Schmerzen. Was schmerzt? und hatte schon immer das ding eine schwäche, / für etliche schmerzen. Dritthandschmerzen sind Kopfschmerzen. Die können quälend sein. Eine richtige Migräne vertreibt als erstes die Leselust. dann wär´s ja ganz recht, wenn wir uns für einen Moment woanders aufhielten als im Text, um dem aus dem Wege zu gehen. Monika Rinck wurde 1969 in Zweibrücken geboren. Zweibrücken ist von Höfen umgeben, deren Namen bezaubernd klingen. Sie heißen zum Beispiel Kettersberger-, Mölschbacher-, Berghauser-, Riedersborn-, Heckenaschbacher-, Offweiler-, Truppacher-, Heidelbinger-, Rothenberger- und Schangenhof. Einem Kind, das in solcher Umgebung aufwächst, müssen die Ohren klingeln von solchen Namen. Da ist Platz für den Schatzhauser im grünen Tannenwald, den Ritter in Ketten, die Heidelbeerfee oder Truppen von roten Schlangen. Vielleicht will Monika Rinck dieses Ohrenklingeln immer wieder herstellen, auch, wenn sie jetzt ganz woanders wohnt als in Zweibrücken und die Namen der Höfe höchstens im Unterbewussten noch Glöckchenfunktion haben? Möglich wär´s. Ihre Biografie enthält den Satz: „Bereits während des Studiums entfaltete sie eine Vorliebe für interdisziplinäre und intermediale Grenzüberschreitungen.“ Ich behaupte, das war noch viel früher, als sie ans Grenzenüberschreiten ging. Im Kopf. In der dritten Hand. Wahrscheinlich hat diese doch den beiden anderen was vorgemacht, auch wenn davon nicht die Rede sein kann an dieser Stelle.
Und? … ist die rage verklungen? Dann wäre es Zeit für die dritte These.

Monika Rinck ist das Wort näher als jedes Kleidungsstück.

Da ist es egal, ob man sich umzieht oder nicht. Man bleibt im selben. Wenn wir uns mit ihr darauf einlassen, bleiben wir, für den Moment der Lektüre, alle im selben. Und: Wir teilen / dieselbe nacht, zumindest, was ihre neige angeht. Da wachen wir nämlich auf und können an unsere verschiedenen Tagwerke gehen. Das Aufwachen ist interdisziplinär und grenzüberschreitend. Im Aufwachen sind wir uns nahe, während der Schlaf eine sehr individuelle Angelegenheit ist. Schon wegen der Träume, die kommen und gehen. Ach, die Träumchen … würd eins doch seinem gleichen und erheiterte ihn …
Wer ist er? Der mit dem Angellatz?
Wahrscheinlich.
Ist er in Seenot? In Seelennot?
Wahrscheinlich.
Der Angellatz nützt nichts. Wäre er heiter, erheiterte das auch das Ich, von dem ich in diesem Augenblick niemals behaupten würde, es gehörte Monika Rinck. Das Ich würde leben nehmen. Vielleicht das eigene? Vielleicht andere? Keine Vorstellung für Memmen, aber, wie gesagt, Monika Rinck ist ja auch keine ...
Was überdauert? Ich denke, eine Traurigkeit, die Voraussetzung dafür ist, dass alles bleibt, wie es war, nämlich am Leben. Das nenne ich Weisheit. Eine, die durch nicht Gesagtes gesagt wird. Die das kann, ist eine sirrende, flirrende Worthautflüglerin.


Kathrin Schmidt