Leben vom Duft der Äpfel
Einfühlung ist alles: David Constantines Gedichte in einer zweisprachigen Ausgabe


Welche Vielfalt der Schulen und Strömungen in der modernen amerikanischen Lyrik: Black Mountain School, Beat Poets, New York Poets. Eine Milchstraße von poetischen Entwürfen, hell ausgeleuchtet von Fixsternen wie Robert Creeley, Allen Ginsberg oder John Ashbery. Die zeitgenössische Poesie Großbritanniens lebt dagegen eher von Einzelpersönlichkeiten wie dem 1998 verstorbenen Poet Laureate Ted Hughes, dem Iren Seamus Heaney oder dem aus Deutschland emigrierten Michael Hamburger. Doch eine Szene? Eine gewisse Zurückhaltung dominiert, und für den 1944 geborenen David Constantine, den großen Empathiker der englischen Poesie, ist diese Zurückhaltung Programm.
Man nehme das Gedicht „Landschaft mit Freunden“ aus dem 1987 erschienenen Band „Madder“. Es beginnt, wie viele von Constantines Gedichten, ruhig, fast bedächtig mit einer Naturschilderung. Sonnenlicht trifft auf einen Berg, auf dem der Waldflaum blüht. Menschlich wird es, als der Sonne plötzlich das Attribut „mitleidig“ zukommt und die sorglosen Köpfe der Betrachter sich recken. „Ich lobe dieses Licht“, heißt es zwei Zeilen später noch, aber dann: „Ich lobe auch den Berg, der etwas / Wesenhaftes hat, aber vielmehr noch lobe ich euch“.
Das Lob der Freunde steht hier über dem Lob der Naturerscheinungen, aber ein Gefühl menschlicher Hybris kann gar nicht erst aufkommen, denn die Freunde sind auch „klein genug im weiten Feld dort gegenüber“ – das lyrische Ich winkt ihnen aus der Ferne zu. „Landschaft mit Freunden“ ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich aus zunächst rein ästhetischen Kategorien unaufdringlich eine Ethik ergeben kann.

Der Göttinger Wallstein Verlag legt mit „Etwas für die Geister“ jetzt eine zweisprachige Ausgabe des in seiner Heimat auch als Essayist, Erzähler und Übersetzer aus dem Deutschen bekannten Autors vor.
In einem poetologischen Text im „Schreibheft“ Nr. 52 hat David Constantine die Tradition, in der er sich sieht, klar umrissen. Der verdienstvolle Übersetzer von Autoren wie Hölderlin, Enzensberger oder Henri Michaux ist der Meinung, dass jedes wahre Gedicht „dem merkantilen, privatisierten und verlogenem Umfeld, in welches es, als Sprache, notwendigerweise ausstrahlt“, widersprechen müsse.
Die Poesie, von der er träumt, ist ein Gegengift zur rein instrumentellen Sprache, denn: „So sind die Engel. Sie ähneln uns in vielem, / Sie lesen Zeitung, schauen Nachrichten, / Aber sie vertrauen auf die Flügel der Welt / Auf eine Art, wie es heutzutage keiner von uns tut.“ Doch bleibt das Ideal durchaus auf Tuchfühlung zum Irdischen: Die Engel lesen eben Zeitung und hören Nachrichten.
Manche von Constantines Gedichten leben von epiphanischen Erlebnissen. So das wunderbare „Ausschau nach Delphinen“, in dem das Warten auf die Meerestiere zum Gemeinschaftserlebnis wird, aus dem ein Moment reiner Schönheit entstehen kann. Denn über die Ausschau haltenden heißt es: „Und jede andere Begierde, / Sah man, fiel ab von ihnen“.

Ja, in diesen Gedichten sind Empathie und Zurückhaltung glänzend vereint. Da sind die Naturgedichte, in die fast unbemerkt anderes einfließt. „Mond“ heißt eines von ihnen, aber es handelt von zwei schlaflos Verliebten im Streit. „Komm rein und schlaf jetzt, wir werden / Unser Dasein sonst noch in Asche, Eis und Stein verwandeln“, heißt es fast beschwörend. Die Natur wird zum Medium eines ganz und gar menschlichen Zorns, wenn der Spiegel eines Sees „wimmert“ und das Eis „schluchzt“.
Constantine nennt als Dichter, die ihn beeinflusst haben, nicht zufällig D.H. Lawrence und John Keats, aber auch den schnörkellosen Thomas Hardy. Bei dem einen mag ihn die Reinheit der Sprache, bei dem anderen dessen bei aller Skepsis empathischer Grundton überzeugt haben. Zeilen wie diese aus dem Gedicht „Das schiere Nichts“ kann man sich auch von Hardy vorstellen: „So wie wir sind, spät dran / Brauchen wir vor allem Zugang zueinander, / Hilfe und das Teilen der verbliebenen Quellen.“
Doch ein Zuviel an Empathie bereite ihm auch Unwohlsein, sagt Constantine einschränkend. „Ich muss mich an die Nähe halten, oder ich werde unsicher. Ich habe einen Horror vor Kunstfertigkeit.“ Das merkt man diesen Versen, die leicht und kunstvoll zugleich sind, kaum an – auch wenn Johanna Dehnerdts und Hauke Hückstädts Übersetzungen mal besser, mal schlechter dazu beitragen, ein Bild von Constantines zauberischer Dichte zu gewinnen.
Eines der schönsten Gedichte des Bandes ist ein maskiertes Liebesgedicht, es heißt „Labe mich mit Äpfeln". Constantine adaptiert darin eine Geschichte des britischen Reiseschriftstellers und Fantasten Mandeville. Die Rede ist von einem Volk ohne Münder zum Küssen, dessen Bewohner „vom Duft der Äpfel lebten, / Und zwar nur davon.“ Sublimierung versagter Liebe.
Erfüllung gibt es in dieser Welt aber durchaus, etwa im Gedicht „Akt“: „Du wirst sagen, es ist nur ein Bild, mal wieder ein Akt. / Aber ich meine, es war tatsächlich einmal so einfach: / Krug, Becken, Waschtisch, Handtuch, Stuhl, / ... und eine Frau ebendort, / Wo warmes Sonnenlicht und liebende Bewunderung sich treffen. / Und sie fühlt sich in beiden wohl.“

Volker Sielaff


David Constantine – Etwas für die Geister, Deutsch v. Johanna Dehnerdt und Hauke Hückstädt, Wallstein 2007