Gott ist ein tollpatschiger Riese
Die Gedichte von Tadeusz Dabrowski kommen vom Parlando, vom Sprechen, her. Oft
ist es ein Ich, das über sich und die Welt nachdenkt, doch nie im Gestus
des Grübelns, sondern leichthin und fast beschwingt. Man spürt schon
bei der ersten Lektüre dieses 31-jährigen Lyrikers aus Gdansk, dass
die Dinge, die ihn beschäftigen, in allen Einzelheiten durch ihn hindurchgegangen
sind. Die Leichtigkeit ist mühsam errungen, vom spontan Hingeschriebenen
ist dieser Alltagsphilosoph meilenweit entfernt.
Das Frappierende an der Lyrik dieses Skeptikers ist vielleicht, dass die Welt
so zurückhaltend wie eindringlich in sie eingesickert ist. Nicht selten
geht es um die großen Fragen.Der alte „Streit zwischen Gut und Böse“
tobt in Tadeusz Dabrowski ebenso, wie Nietzsches Gedanke von der Ewigen Wiederkehr
ihn festzustellen veranlasst, dass wir daran nur glauben, „weil wir auf
Ähnlichkeiten aus sind, doch ein Frühling / ist dem anderen nicht
ähnlicher als / dem Winter. Du hast kein Recht zu sagen, dass du der bist,
/ der du gestern warst …“ Gott ist bei Dabrowski nur ein „tollpatschiger
Riese“, der zusieht, wie auf einer Autobahn Laster ineinander krachen
oder ein Hurrikan Florida verwüstet. Aber so ganz möchte das lyrische
Ich der großen geheimen Kraft doch nicht abschwören.
So wird im Folgenden darüber spekuliert, ob es dem glücklosen Riesen
denn wenigstens gelingen werde, „mich lebend ins Jenseits hinüberzutragen“.
Das Unglück ist ständig präsent in Dabrowskis Gedichten, ob es
um den mythischen Absturz des Ikarus in der Figur eines Betrunkenen geht, der
über den Treppenabsatz einer Metrostation stolpert, oder um das wuchernde
Krebsgeschwür eines „Jungen in der Onkologie“. Ohne Ironie
kommen diese Gedichte nicht aus, das ist ihre Weise, sich vor der hereinbrandenden
Wirklichkeit zu schützen. Dabrowski, so schreibt Michael Krüger in
seinem Nachwort zum Band, setzt „auf Versenkung, Kontemplation, Konzentration,
Stillstand – auf das, was Gedichte leisten können, um der rasenden
Welt eine andere entgegenzuhalten“.
Diese erstaunlichen Gedichte tragen tatsächlich etwas unterschwellig Widerständiges
mit sich, und so kann man Krüger nur darin zustimmen, dass hier ein Junger
drauf und dran ist, die große Tradition der polnischen Lyrik auf seine
Weise fortzuschreiben: indem er anknüpft an das „skeptische Dichten
und Denken jenseits der Ideologien“, wie es etwa die Nobelpreisträgerin
Wislawa Szymborska oder der menschenkluge Melancholiker Adam Zagajewski vertreten.
Schön auch die Ausstattung des Bandes, für die man bei Luxbooks den
Titel fast wörtlich genommen hat: Während die polnischen Originaltexte
dieser zweisprachigen Ausgabe weiß auf schwarzes Papier gedruckt sind,
finden sich die Übersetzungen wie üblich schwarz auf weiß in
dem quadratischen Bändchen wieder.
Volker Sielaff
Tadeusz Dabrowski: Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund. Gedichte. Aus dem
Polnischen von André Rudolph, Monika Rinck und Alexander Gumz. Luxbooks,
Wiesbaden 2010
Die Rezension erschien am 20.6. im Tagesspiegel