Windmühle, Blutmühle
Das lyrische Werk Salvador Esprius


Ein Gedicht gäbe es, bekannte Salvador Espriu 1984 kurz vor seinem Tod im Gespräch, das er auswählen würde, wenn nur eines ihn überleben dürfe. „Die Worte“ heißt es und beginnt so: „Es gibt Traurigkeit hinter/ den Worten, lahme Karren/ in Kolonne, die Schutt von dir/ transportieren, viel Ödnis/ von Sonntagnachmittagen,/ Unheilsangst. Es verschließen/ sich dir Bücher und Freunde,/ Lippen der Dinge. Boshafte/ Lehrlinge grauer Männer/ verfolgen dich bei schwierigen/ Kehren zu Gott“. Die Traurigkeit hinter den Worten ist in vielen Gedichten Esprius zu spüren. Seine Lyrik ist oft dunkel, von Schwermut durchwirkt, und wenn immer wieder das Motiv des Schiffbruchs auftaucht, so hat dies nichts von der störrischen „Heiterkeit der Schiffbrüche“ Ungarettis. Immer wieder ist es der Tod, der ins Zentrum der Verse rückt, die „Dame Tod“ oder „Tödin“, sekundiert durch das klassische Personal der Unterwelt wie Charon und Cerberus, und immer wieder wird aus Esprius Lyrik ein Klagegesang für verblichene Verwandte und Freunde. Als trostreicher Fluchtpunkt leuchtet hingegen die katalanische Landschaft mit ihren Hügeln, den Zypressen und Pinien, mit ihren Weinbergen und dem im Hintergrund stets präsenten Meer, und insbesondere ein Ort: Das imaginäre Sinera, dem ganze Zyklen gewidmet sind und dessen Name ein Ananym des nördlich von Barcelona gelegenen Fischerstädtchens Arenys de Mar ist. Hier verbrachte Espriu als Kind glückliche Zeiten, zusammen mit seiner Mutter und dem Vater – einer stadtbekannten Persönlichkeit, dessen Notariat Espriu nach dem Tod des Familienoberhaupts 1940 übernahm. Auf die angestrebte akademische Laufbahn verzichtete der stets republikanisch gesinnte Espriu, nachdem der Bürgerkrieg zu Francos Gunsten entschieden worden war. Die Breite seines Wissens, die Lust daran, spricht dennoch aus jeder seiner Zeilen: Espriu ist ein hochgebildeter Dichter, vertraut mit jüdischer und arabischer Mystik, vielsprachig dazu, und sein Werk strotzt vor Anspielungen und Querverweisen. Daß jenes „Stücklein Kummer“, als das sich der Dichter mit melancholischem Witz selbst charakterisierte, trotz dieses Bedeutungsreichtums, auch trotz seines zurückgezogenen Lebens und der selbstgewählten Einsamkeit, zu einem der populärsten katalanischen Dichter werden konnte, beruht vor allem auf einer Gedichtsammlung, die 1960 erschien. In „Die Stierhaut“ wandte sich Espriu dem spanischen Krieg „ohne Sieg zwischen Brüdern“ zu, einem noch immer zerrissenen Volk, das, wie der in der Arena die Stierhaut attackierende Stier, „Opfer und Henker zugleich“ ist. Er widmete sich in seinem Zyklus der Gegenwart und Zukunft des Landes „Sepharad“, in dem die meisten seiner damaligen Zuhörer und Leser ein Synonym für Katalanien sahen. „Windmühle, Blutmühle:/ selbst die Knochen muß man noch mahlen,/ damit wir gutes Brot bekommen“: Immer wieder trifft man auf solche kraftvollen, teils surrealistisch geprägten Bilder;

Esprius Sprache ist elementar, manchmal fast archaisch und immer vom Willen zum hohen Ton geprägt. Die großen Worte, das glühende Pathos sind Esprius Gedichten, nicht nur in der „Stierhaut“, nicht fremd, und oft wird ihnen gar ein Gewicht aufgezwungen, das den prägnanten Sinneseindruck, die treffende Wendung zu zermalmen droht. Bisweilen kommt es zu regelrechten Häufungen der bei Espriu überaus beliebten Genitivmetaphern aus Konkretem und Abstraktem, die ihre Bedeutung geradezu einfordern: „Ach, der kalte Marmor der Zeit, mein Leben,/ vertan im Kampf gegen das Eis der Wörter!/ Auf dem nackten Felsen des Todes kann ich/ nur noch die hohe Säule dieses Schmerzes/ errichten“. Selten wird die Gelegenheit versäumt, aus einem simplen Kartenspiel die Karten des Schicksals, aus Schiffen und Inseln Schiffe und Inseln der Hoffnung, aus Zisternen die Zisternen der Zeit zu machen, das Alltägliche ins Mythische zu überhöhen. Daß Espriu auch ganz anders kann, ahnt man, wenn er diesen Hang zum Prunkvollen in drei Zeilen bündig ironisiert: „An diesem Abend im Januar,/ wie ich hohe Sterne anstaunte,/ verstauchte ich mir die Knöchel.“ Tatsächlich überrascht er immer wieder mit Gedichten, die übermütig verspielt, ja albern sind, und mit langen Balladen, deren Reime die deutsche Übersetzung allerdings sehr schmerzhaft an ihre Grenzen bringen („Das Nadelöhr, dem wohl behagt/ das fette Kamel, läßt passieren/ den Spezi, krumm oder grad, ungeplagt,/ denn der soll sich nicht malträtieren.“). Dennoch: Die drei Bände dieser sorgfältig kommentierten Gesamtausgabe des lyrischen Werks Esprius ermöglichen erstmals die vertiefte Beschäftigung mit einem Schriftsteller, der für die katalanische Dichtung und Sprache so wichtig war und trotzdem zu einem so wunderbaren wie bescheidenen Fazit kam: „Denn ich sterbe bar allen/ Wissens, doch sehr reich an/ Schritten verirrten Wanderns.“


Jan Wagner

--- Salvador Espriu: „Obra poètica. Das lyrische Werk”. Katalanisch und deutsch. Aus dem Katalanischen von Fritz Vogelgsang. Drei Bände im Schuber. Zürich 2007