Roggen im Flohrock
Gedichte des rumänischen Surrealisten und Wahlparisers
Ghérasim Luca
„In mir trage ich die Traurigkeit jener Dichter, die ihr ganzes Leben,
aber auch ihr ganzes Leben lang nach Kräften versucht haben, keine Literatur
zu machen, und schließlich beim Durchblättern ihrer gut hundert Seiten
feststellen mußten, daß sie nichts anderes als Literatur gemacht
haben“, resümierte der rumänische Dichter Gellu Naum in einem
späten Essay. Womöglich ist das eine Einschätzung, die sein zwei
Jahre älterer Weggefährte Ghérasim Luca angesichts des eigenen
Werkes geteilt haben würde, das 2001 durch eine Neuauflage der Editions
Gallimard eine beinahe kanonische Würdigung erfuhr – wenn auch erst
sieben Jahre nach Lucas Freitod in der Seine.
Zu Beginn ihrer Karrieren waren Luca und Naum gemeinsam nach Paris gereist,
wo sie mit dem Kreis von Dichtern um André Breton Umgang pflegten. Später
gründeten sie in Bukarest selbst eine Surrealistengruppe. Noch 1947 arbeiteten
sie zusammen an verschiedenen Buchprojekten, bevor Luca sich für einen
dauerhaften Aufenthalt in Paris und in der französischen Sprache entschied.
Mehr noch als darum, die „Poesie abzuschütteln, indem man Poesie
macht“ (Naum), geht es Luca um die Befreiung der Worte selbst. Wo sich
die „Idee von Freiheit“ nur in „Sklavenworten“ ausdrücken
läßt, löst Luca alle Ketten. In einem programmatischen Text
schreibt er: „In einer Sprache, die der Bezeichnung der Dinge dient, hat
das Wort nur einen Sinn, oder zwei, und wacht über die eingesperrte Klanglichkeit.
Bricht man die feste Form auf, wo sie verkrustet ist, treten neue Beziehungen
zu Tage: Die Klanglichkeit erregt sich, schlummernde Geheimnisse werden laut“.
Luca gelangt über diese Erregung zu einer zwanglosen Sprache, die das rein
Lexikalische meidet und stattdessen der Silbe, dem Morphem, dem Laut zu ihrem
Recht zu verhelfen sucht, bevor er diese Minimalbausteine zu neuem Sinn, nicht
zuletzt auch zu neuem Unsinn zusammenfügt. Indem er sich vom Klang leiten
läßt, entdeckt er das „Frohlocken einer idealen Furcht/ Roggen
im Flohrock/ Lockruf/ und loser Lack des Blütenblatts“.
Das produktive Stammeln, der „Lapsus linguae“, der Versprecher also,
werden zum gestaltenden Prinzip, wobei der Moment des Zerstörens stets
auch Sprachreflexion und kreativer Akt ist. Natürlich aber ist Lucas freie
Klangpoesie bei all dem fest in der Tradition verwurzelt – sei es, daß
er Lautréamonts Regenschirm und Nähmaschine erneut auf den Seziertisch
hievt oder den Anfang aus Mallarmés berühmtem Poem „Un coup
de dés“ aufgreift, um ein ganz ähnliches Spiel mit verschiedenen
Drucktypen und dem Weiß der Seite zu beginnen. Zu dieser Arbeit mit einem
von Autor und Leser geteilten Zitatenfundus gehört auch Lucas Verballhornung
der Marseillaise durch simples Auswechseln eines einzigen Buchstabens: „Le
four der gloire est arrivé“, schmettert es bei ihm, was Mirko Bonné
mit „Der glorreiche Tag liegt Ofen vor uns“ ins Deutsche überführt.
Lucas Poesie ergibt sich nicht dem Nonsens in seiner landläufigen Bedeutung
als bloßer Albernheit, sondern nutzt das Potential des Unsinnigen und
Widerständigen in der Überzeugung, daß „man dem Absurden
nur/ durch das Absurde entrinnt“. So ausgelassen und komisch seine Poesie
zuweilen ist, so deutlich ist stets der philosophische Ernst, der ihr zugrunde
liegt, und so bestimmt er gegen „eure rattenration wehleidigkeit“
zu Felde zieht, so bestimmend ist andererseits sein nüchterner Blick auf
„das Sein des Scheiterns und das Scheitern des Seins/ doppelte Leiter/
die nur dazu dient einen Sarg/ auf einen Sockel zu hieven“. Der existentiellen
Sinnlosigkeit setzt Luca daher die Sinnlichkeit des Körperlichen und der
Sprache entgegen. Ein Gedicht wie „Das Körperecho“ ist ein
Fest fürs Ohr und eine nahezu unwiderstehliche Liebeserklärung an
beide: „zwischen dem hof deiner hüften und dem haus deines hauchs/
zwischen dem hader deiner leiste und den leisten deiner adern/ zwischen den
schenkeln deines streichelns und dem harzduft deines herzens/ zwischen dem gelingen
deiner gelenke und der nummer des namenlos glatten/ nabels deines schattens“.
Angesichts der Virtuosität, die Luca im Jonglieren mit den Partikeln der
Sprache zur Schau stellt, scheint ein Übersetzer von vorneherein auf verlorenem
Posten zu stehen. Um ein wort- und sinngetreues Übertragen kann es kaum
gehen, wohl aber um ein Teilhaben an der Lucaschen Sprachlust. Und tatsächlich
schlagen die drei Übersetzer – Mirko Bonné, der für den
einen, sowie Theresia Prammer und Michael Hammerschmid, die für den anderen
Teil der Auswahl einstehen – die erstaunlichsten Volten und machen vielfach
aus der Unmöglichkeit ein Gelingen. Nicht der geringste Reiz der Lektüre
besteht deshalb im Nachvollziehen der Schritte, die vom französischen Original
zur deutschen Fassung führten – was schließlich im Vergleich
zweier Übertragungen ein und desselben Zyklus gipfelt, die in der Buchmitte
aufeinandertreffen. Der Leser ist dabei immer wieder eingeladen, über den
heiklen Punkt zu reflektieren, an dem eine entfesselte Semantik im Leerlauf
zu enden droht. Es ist an ihm zu entscheiden, wie weit er Luca in den sprachlichen
Freiraum, der ein Gedicht ist, zu folgen bereit ist: „In einer der entlegensten/
Gegenden meines Geistes/ wo ich mein Lager aufschlug, am Fuße des Buchstabens/
auf einer Höhe von Null Fuß/ segelt eine kleine Anzahl/ ganz ungewöhnlicher
Ideen/ die nicht aufzugreifen einem Frevel/ gleichgekommen wäre/ im Fluge
meiner Unaufmerksamkeiten“.
Jan Wagner
--- Ghérasim Luca: „Das Körperecho. Lapsus Linguae“.
Gedichte. Französisch und Deutsch. Übersetzt von Theresia Prammer,
Michael Hammerschmid und Mirko Bonné. Urs Engeler Editor 2004, ca. 800
Seiten, € 29,--.