Hiobs Versmaß
Worte der Glut: Der slowenische Dichter Dane Zajc ist gestorben

Wer ihn einmal erlebt hat, wird das nicht mehr vergessen. Ein schwerer, kräftiger Mann, der ein bißchen aussieht wie ein Bauer im Sonntagsstaat, steht auf der Bühne, die Augen geschlossen oder in eine unendliche Ferne blickend, rezitiert auswendig mit tiefer Stimme südslawische Verse, die wie Zaubersprüche klingen, wie Beschwörungsformeln, die Schaden abwenden oder ihn vielleicht herbeirufen sollen. Keine Lesungen waren das, sondern düstere Offenbarungen eines poeta vates, eines Dichter-Sehers. So schlug der slowenische Lyriker Dane Zajc sein Publikum in den Bann, zuletzt öfters auch in Deutschland, beim Poesiefestival in Berlin zum Beispiel oder, erst unlängst, beim Münsteraner Lyriktreffen. Meist trat er gemeinsam auf mit dem Akkordeonspieler und Rezitator Jane Skof, der seine Texte vertont hat, und rein äußerlich konnte dieses Duo fast folkloristisch erscheinen. Doch von bäuerlicher Balkanromantik fehlt in diesen Versen jede Spur, von ihrer Herkunft zeugt vor allem das Wissen um die Erbarmungslosigkeit der Natur, die auf das Flehen der leidenden Geschöpfe mit Schweigen antwortet: "Der große schwarze Stier brüllt in den Morgen. / Als spritzte schweres, schwarzes Blut / unter die Spitzen der dunklen Fichten. / Als öffnete sich über dem Wald im Osten / ein blutiges Stierauge / in den Morgen. / Großer, schwarzer Stier, wen rufst du?"

Dane Zajc, den viele für den größten slowenischen Dichter des vergangenen Jahrhunderts halten, wurde 1929 auf einem Bauernhof in der Nähe von Ljubljana geboren. 1944 fallen zwei seiner Brüder, die als Partisanen gegen die Besatzer kämpfen, der Hof der Familie wird von den Deutschen abgebrannt, Vater und Großvater sterben. Die als Jugendlicher traumatisch erlebte Gewalt des Krieges hat sich buchstäblich eingebrannt in sein Werk, in dem jeder Vers dem endgültigen Verstummen abgerungen scheint. Statt des erlösenden Wortes findet der Dichter in seinem Mund nur "einen Klumpen Asche", wie eines seiner berühmtesten Gedichte von 1961 heißt. Wegen dieser Motive hat man Zajc mit Paul Celan verglichen; doch geht ihm dessen Vielstimmigkeit ab. Zajc sprach keine andere Sprache als Slowenisch; seine Texte haben auch nichts Verrätseltes. Die elementare Gewalt seiner Bilder bedarf keiner Hermeneutik. Nach dem Krieg war der aufmüpfige Gymnasiast rasch im Gefängnis gelandet. Das Studium blieb ihm in Titos Staat verwehrt; als Bibliothekar einer Pionier-Bibliothek fand er nach 1955 eine Nische. Doch seine Gedichte und Dramen konnten im vergleichsweise liberalen kulturellen Klima Jugoslawiens erscheinen.

So wurde dieser große Solitär zur Leitfigur gleich mehrerer Dichtergenerationen - von Tomaz Salamun, inzwischen selbst ein Nobelpreiskandidat, bis hin zu Jüngeren wie dem 1973 geborenen Ales Steger, der dem bei Klett-Cotta erschienenen, von Fabjan Hafner übersetzten Auswahlband "Hinter den Übergängen" (2003) ein emphatisches Nachwort beifügte: "Deine Gedichte zerfleischen die slowenische Sprache, in Stücke zerhackt, den Wölfen und Hunden vorgeworfen, das ist deine Sprache", heißt es da. Aus der Spirale der Gewalt in dieser von einem "irren Schöpfer" erdachten Welt kann gerade die Literatur nicht entkommen: "Wer wird die in die Glut geschriebenen Verse lesen. Die verbrannten Wörter. Die zerfallenen Silben. Die verzerrten Lettern", fragt ein spätes Gedicht, in dem mit der Sprache die ganze Welt ein Raub der Flammen wird. Wer die tiefdunkle, albtraumhafte Bilderwelt dieses balkanischen Hiob für einen Anachronismusoder für die private Trauerarbeit eines vom Schicksal hart gebeutelten Menschen hielt, den dürften spätestens die Kriege der neunziger Jahre eines Besseren belehrt haben. "Feuer" und "Asche", "Beil" und "Blut" waren keine Metaphern mehr, sie sind es nie gewesen. Am vergangen Freitag ist Dane Zajc in Ljubljana gestorben.

Richard Kämmerlings

erschienen in der FAZ vom 24.10.2005