Ausstieg?
Notiz zu Michael Brauns Skizze dreier "Ausstiege"

Michael Braun skizzierte jüngst in der "tell-review" drei bemerkenswerte literarische "Schlussstriche". die Auswahl mag auf den ersten Blick willkürlich sein, denn es gibt sicher eine ganze, noch zu untersuchende "Tradition" oder "Ahnenreihe" von Aussteigern aus der Literatur. und doch hat diese Auswahl etwas bestechendes:
wie glaubwürdig ein in seiner Akklamation doch narzisstisch (wie eine "Strafaktion") wirkender "Ausstieg" Jirgls auch zu bewerten sein mag (weil es der zeitlich letzte Aussteiger der hier genannten ist, weise ich auf ihn bevorzugt hin), inwiefern nicht jeder öffentliche Ausstieg ein Ruf nach "Einstieg" ist, sei dahingestellt, hier aber werden von Michael Braun drei wichtige Motive für solche Abschiede vom Publikum vorgestellt:
1. ökologisch: die Erde hat abgedankt, Literatur wird sinnlos. (Hildesheimer)
2. privat: fehlende Resonanz, Garstigkeit der Umgebung, Alterung und fehlende Relevanz für aktive Netzwerke und Öffentlichkeit. (Baier)
3. Massenmedialität und "Verdummung" lassen die Sensoren und Aufmerksamkeitsspannen für Literatur verrohen oder untergehen.(Jirgl)

eine mögliche Erwiderung scheint zunächst simpel. es scheint, man könne dem Ökoskeptizisten entgegnen, dass der nahende Untergang noch nie ein Argument gegen Literatur war ("Luthers Apfelbaum"), dem privat Scheiternden, dass eben alles eine Zeit habe und Moden auch wiederkehren, der Massenmedienkritik, dass Literatur außer in politischen Ausnahme- oder Repressionszuständen noch nie eine Sache für Alle war und dass der Anspruch, für "alle" schreiben zu wollen und erfolgreich sein zu wollen mit etwas, das sich doch selbst ex-plizit aus-schließt, nur widersprüchlich wirken kann.

doch ganz so leicht ist es nicht: die mit "Anthropozän" als Begriff inzwischen auch ins öffentliche Bewusstsein gelangte prekäre und historisch einmalige Situation der "Erde" wirft in der Tat fundamentale Fragen zum Begriff der Literatur selbst auf, das betrifft sowohl Fragen nach den Bedingungen der Literatur, als auch nach den Implikationen einer Sprache der Technik und Beherrschung, die ja auch die Literatur durchzieht. zudem steht hinter der Frage nach persönlichem Missgeschick die durchaus relevante nach den Kriterien für "Wichtigkeit", für Erfolg und die berechtigte Hinterfragung von Automatismen und Aufmerksamkeitsstrukturen nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Subjekt. dazu kommt die nicht ganz wegzudiskutierende Irrelevanz der Literatur überhaupt für die Mehrheit der Bevölkerung (was die "Massenmedien" ja nur auf ihre Art spiegeln) – wie ist Literatur möglich, wenn sie vor allem eine staatlich erzeugte "Kulturblase" ist? was wäre Aufgabe des Staates, was die von Mäzenen – was schließlich wäre eigentlich Kultur? und inwiefern sind unsere traditionsärmeren Gesellschaften bereits "kulturlos" und diese Kulturlosigket integrativer Bestandteil wachsender Freiheiten (die wiederum mit eklatanten Beschneidungen einhergehen...usw)

Michael Braun hat die Diskussion nun, nachdem der Weggang Jirgls allzu schnell weggesteckt wurde, noch einmal eröffnet.

Hendrik Jackson