Summende Gewebe
Gedichte der Amerikanerin Amy Clampitt
Eine Meeresoberfläche bei leichter Bewölkung. Der ruhige Blick mag
hier kaum mehr entdecken als ein weit aufgespanntes Feld, vielleicht noch ein
paar Seevögel oder die Linie des Horizonts. Bei Amy Clampitt jedoch gerät
die Sprache in Bewegung. Fischgrät-Muster werden erkennbar, „Quecksilberseide“
und Dessous, die an Aluminium erinnern – „eine Substanz so eins
in sich, / daß man sie fast hochheben könnte“. Dann wieder
strömen die Vergleiche aus einer anderen Richtung. Nun sind es Haferfelder
oder das geschmeidige Gleiten von Muskeln unter der Haut. In stetem Austausch
immer wieder „Schuppen lebenden Gewebes, / Rätsel der Spannung, /
Zartheiten der Berührung, des Drucks / und der Ablösung, Biegsamkeit
/ langer und intimer Verbindung“.
In Amy Clampitts Gedichten bleibt nichts, wo es ist. Es ähnelt einer sprachlichen
Beschwörung, wenn sie mit schnellen Reihen, Wortballungen und einer großen
Lust am Vergleich eine Szene aufreißt, die ihre Gestalt bald schon verändert.
„Büschel, Balgkapseln, eiserne Ration / zweijähriger Rosetten“
– so beginnt etwa ein Gedicht über ein unbebautes Grundstück.
Andernorts setzt Clampitt erst einmal eine Definition oder schleicht sich einfach
hinein in die Verse: „Verstohlener Gang der Flut, der Mond dunkel, / aber
noch am Werk, die Heringsschwärme / irgendwo vor der Küste, wie erwartet“.
Ihr Schreiben hat sie selbst, durchaus kokett, ein „blindes Tasten nach
Wörtern“ genannt. Doch vielleicht erinnert es eher an jene alchemische
Verwandlung, von der sie in dem Stück „Es kommt von jenseits“
erzählt. Dort beschreibt sie den Flußsand und das Bergwerk, das Sieben
und Polieren des Goldes und seine Metamorphose in ein Artefakt.
Als Amy Clampitt 1994 im Alter von 74 Jahren starb, lag ihr lyrisches Debüt
gerade ein Jahrzehnt zurück. Es ist eine dieser Geschichten, die wie gemacht
klingen für eine gute Dichtervita. Sie wuchs auf einer Farm in Iowa auf,
in jenem „evangeliendurchspukten Präriehinterland“, das in
ihren Gedichten immer wieder erwähnt wird. Eine Jugend unter Quäkern,
Erzählungen von Postkutschen, Planwagen oder Zeltgottesdiensten –
Amy Clampitt zog es bald nach New York. Sie arbeitete als Sekretärin und
Bibliothekarin, später als freie Lektorin. Nebenher schrieb sie drei Romane.
Doch es dauerte, bis Gedichte in Zeitschriften erschienen und die kleine Lyrikgemeinde
aufhorchen ließen. Mit ihrem Erstling „The Kingfisher“ zeigte
sich die „kinderlose Metaphernspinnerin“ 1983 gleich als fertige
Dichterin.
Ihr Bekenntnis zu den „höflichen Musen // Europas“ ist vielen
der Gedichte eingeschrieben, auch wenn die literarischen Ahnen schon einmal
als „aufgeputzte Greisinnen“ in Erscheinung treten. Dazu gehören
die beiden alten Damen der amerikanischen Lyrik, Marianne Moore und Elizabeth
Bishop. Bei dieser mag sie gelernt haben, wie man genaue Beobachtung mit Reflexion
verbindet. Von Marianne Moore indes hat sie unverkennbar die Neigung, die Wörter
auf ihre Laute abzuhorchen, auch die Liebe zum kleinen Inventar. So wie Moore
in ihrem Gedicht „Der Turmarbeiter“ die Pflanzen und Tiere rund
um den Leuchtturm eines Städtchens aufreiht, lässt Clampitt einmal
den Garten der Großmutter aus der Erinnerung aufsteigen, mit all den „Kolonnaden
aus Cosmea, / Löwenmäulchen, Kapuzinerkresse“.
Kaum etwas dürfte schwieriger sein, als die vielen Stimmen der Verse in
eine andere Sprache zu übertragen. Joachim Kalka hat hier feine Lösungen
gefunden. Wo es nötig ist, stellt er die Zeilen so um, dass die „Rätsel
der Spannung“ am Versende gewahrt bleiben. Da fällt es kaum ins Gewicht,
dass etwa aus den „streetlit solitudes“ nur eine „straßenlampenhelle
Einsamkeit“ wird. Die Auswahl des Bandes zeigt genau, wie Clampitts Wahrnehmung
nicht nur das „diffuse Wandern“ in der Natur festhält, sondern
auch Bilder der Geschichte. In ihrem Langgedicht „Die Prärie“
erzählt sie von der Besiedelung des amerikanischen Westens. Dem strengen
Kartennetz der Landvermesser setzt sie die freien Ordnungsmuster der Ureinwohner
entgegen. Es sind jene „summenden Gewebe“, die auch ihr Schreiben
bestimmen.
Nico Bleutge
erschienen in der Stuttgarter Zeitung vom 10.1.2005
Amy Clampitt: Eisvogel. Ausgewählte Gedichte. Amerikanisch –
Deutsch. Stuttgart 2005