Kleist im Kopf |
Armer Teufel, steht herum Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Er braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest. nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen Der Franzose sagt: 'L'appétit vient en mangeant', und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert und sagt: 'L'idée vient en parlant.' Heinrich von Kleist in seiner Abhandlung Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden Um zu schreiben benötige ich einen Nukleus und einen Vertrauten.
Und genau das ist mein Problem. Es gibt genug Gründe in den Schreibprozess
einzutreten, aber es gibt Lebensphasen, in denen das Mißtrauen in
meine Sprache so groß ist, daß ich zu nichts komme. Ich rede
nicht von Mißtrauen im Generellen, sondern eher von Impotenz im
Speziellen. Ich benötige dann Tage währende Versuche zu einer
Sprache zu kommen, von der ich spüre, daß sie mich betrifft
und der ich mein Vertrauen aussprechen kann, während ich sie benutze.
Das ist Besucherstatus, der sich ins home-Mädele streckt. Man benötigt
einen Adressaten. Das muß kein realer Mensch sein, sondern kann
auch jemand Erdachtes sein, von dem ich mir wünsche, daß es
ihn jemals geben wird. Sobald ich diesen jemand positiv bedenke, macht
meine Kreativität auf und ist sich nicht zu schade für Tanzübungen
vor dem Spiegel. Diesen jemand gilt es zu finden. Ich kann das schreiben, weil ich beim Schreiben bevorzugt auf dem Bett
sitze, ein notebook auf einem Extrakissen vor mir. Ich bin vollkommen
allein, manchmal über Tage, von Zweifeln geplagt und in Gedanken
hin- und hergeschickt. Solange das ins Sagbare gehört, bin ich jeweils
gerettet. Das ist mein therapeutisches Moment. Beim Durchschreiten der
Denkgegenden stelle ich mir einen Adressaten zur Verfügung, dem ich
vertraue. Der Lyriker von heute kann das ab. Heißt es und so hoffe ich. Ich
kann das nicht gut. Vielleicht, weil mein Adressat mich wie ein Trainer
bei Pfiffen ins Trotzdem verpflichtet. Unter anderem auch deswegen habe
ich keinen facebook-account. Ich komme nicht mit Attacken und Beschädigungen
klar, die von außen auf das hochsensible Geflecht eines Adressaten
und mir und meinem Sagen einwirken. Es ist ohnehin keine besonders stabile
Konstruktion. Wer die Relativität der Dinge kennt, wird seine Streben
vorsichtiger ziehen und manches Denkgebäude sieht dann aus wie gar
keins, es ist einfach ein Horizont, eine Perspektive oder eine Handvoll
Erde. Wie beschütze ich eine Handvoll Erde? Indem ich keinen Palast
draufstelle. Mir ist mein Denken zu wertvoll, um es einer wie auch immer
gedachten Ignoranz ausgesetzt zu sehen, die ihre Ichkämpfe öffentlich
tarnt als Ichgewinn. Weil es mir wirklich wichtig ist, besser: weil es
für mich wichtig ist. Ich brauche es, ich benötige meinen Adressaten,
um schreiben zu können. Er ist meine Versicherung gegen depressive
Umnachtung. Und meine Art ihn zu verteidigen ist es, ihn nicht verteidigen
zu müssen, ihn rauszuhalten aus dem Pseudo-Diskurs, er soll clean
sein und anonym. CLEMENS PODEWILS* Der mich anspringt aus: Heinz Piontek (Hg.): Deutsche Gedichte seit 1960. Reclam 1972. P.S.: Diese Notiz war wichtig, um eine Blockade zu überwinden. Sie
ist quasi auf der Suche nach einem Irgendwas, einem möglichen Adressaten
und findet ihn "pantheistisch" im Dreck (der mir übrigens
- verlässlicher erscheint als irgendeine Jury). Ich liebe Schmutz,
ich liebe das Gegenteil von Unversehrtheit, ich liebe Historie und echte
Geschichte, die sich nicht aus Mattel-Himmeln herspinnt. Dabei bewundere
ich manche Vielschreiber, die kein Problem damit haben, jederzeit ihren
Adressaten aufrufen zu können, er ist allzeit da, benötigt keine
Elixiere, ruht im Wesen des nassen T-Shirts selbst. Bei mir ruht ganz
innen die Frage: Kannst du schreiben? Und die vermeintliche Antwort darauf:
Du willst schreiben, weil du etwas anderes nicht kannst! Aus Defiziten
her gedacht, eine Ersatzeinmischung, eine Alternative. Ein armer
Hirnhund, schwer mit Gott behangen. / Ich bin der Stirn so satt ...
(aus: Untergrundbahn von Gottfried Benn). Literatur als Lebensalternative
das lernt man schnell, daß das nicht funktioniert, hungerleidend.
Lyrik als Flugzeug, ja, das funktioniert. Die kleine Form mit dem leichten
Gepäck, reisefertig steht man da und sucht nach einer Adresse, die
im besten Fall das Gedicht selber ist. Da ja kein Jenseits dabei, sondern
ein echtes Hiersein. Was den Text betrifft. Frank Milautzcki, 27.03.2018 | 08.04.2018 |