| Sprachmitteln Werkstatt-Bericht VERSschmuggel 2014 mit den Dichtern J.O. Morgan und Katharina Schultens |
![]() (J. O. Morgan und Katharina Schultens, © gezett) Eventuell: ein Diagramm, ein Kreis ist er, der andere sie… doch halt – Venn diagram kennt man auf Deutsch nicht. Eventuell: Schnittmenge. Die Überschneidung ist niemals vollkommen. Das macht nichts. Das Bild der schwebenden Kreise ist schön. Hysteresis hat nichts mit Hysterie zu tun, auch wenn Hysterie bei der Übersetzung einsetzt. Diese ist aber wohl die gute Katastrophe, von der J. R. R. Tolkien sprach. Ein Prism ist kein Prisma, doch das Mißverständnis leuchtet ein – dem Leser, dem Übersetzer um so mehr. Der Text bricht sich zweifach, dreifach im Gespräch. Die Facetten sind unendlich. Das Gespräch dreht sich um Kernphysik und Tierschlachtung, Astrologie, Mythologie und die schwarze Magie der Finanzmärkte. Die Schnittmenge der zwei Dichter erweist sich als immens – beide sind Feinmechaniker der abstrusesten Wissenschaften. Ich darf dabei zusehen, wie sie Gedichte auseinandernehmen und neu zusammenschrauben. Ich darf die Schrauben reichen, die Schrauben für ein Gedicht. Ich darf für Jo jedes Wort des deutschen Textes auseinandernehmen, angefangen mit der Un-be-teil-igt-heit. Dis-interest-ed-ness. Ich bin mehr als interested. Beteiligt bin ich an der Neuerfindung meines Brotberufs von zwei Dichtern, die kaum je zuvor übersetzt haben. Sie haben es unverschämt gut gemacht. Und wir hatten unverschämt viel Spaß dabei. ![]() (Isabel Cole, © gezett) Das wird hier kein Blog über Lyrik,
es soll hier
schlicht ums Übersetzen gehen. Ich traue mir keine Lyrik zu, keine
Lyrikkritik und keine Lyrikübersetzung. Demonstrativ wollte ich gleich
zum Auftakt nicht über Lyrik schreiben. Wäre ich nur nicht Anfang Juni
doch noch dazu gekommen, Lyrik (mit) zu übersetzen – als
„Sprachmittlerin“ beim VERSschmuggel.
Diese Werkstatt wird von
Aurélie Maurin
kuratiert und findet in diesem Format seit 2001 jährlich in der
Literaturwerkstatt Berlin statt. Die Idee geht auf eine alte
Übersetzungsdebatte zurück. Zugespitzt: Sollte man Lyrik von
hauptberuflichen Übersetzern übersetzen lassen, die die entsprechenden
Sprachkenntnisse und übersetzerische, jedoch nicht unbedingt lyrische
Begabung besitzen? Oder vielmehr von hauptberuflichen Lyrikern
„nachdichten“ lassen, ihre fehlende Fremdsprachkenntnisse mit einer
anderweitig angefertigten Interlinearversion kompensieren: aus einer
„Wort-für-Wort“-Übersetzung stellt der Dichter „ein richtiges Gedicht“
her. Die erste (individualistische, westdeutsche) Methode hat den
Vorteil, daß alles aus einer Hand, aus einem Guß ist; den Nachteil, daß
einer hier fremde Expertise anmaßen, ein Nichtlyriker Lyrik herstellen
muß. Vorteil der zweiten (kollektivistischen, ostdeutschen) Methode
ist, daß hier Experten einander zuarbeiten, jeder tut, was er am besten
tut; Nachteil ist die Mittelbarkeit (der Vorwurf, der übersetzende
Lyriker habe am Ende zwar ein richtiges Gedicht hergestellt, jedoch
eines, das mit dem Original, welches sich ja seiner direkten Kenntnis
entzieht, nur entfernt etwas zu tun hat). VERSschmuggel versucht die
Problematik durch das Werkstatt-Format auszugleichen. Zwei Dichter
setzen sich zusammen, um sich gegenseitig zu übersetzen – unterstützt
von Interlinearversionen sowie einem Sprachmittler, der bei den
Arbeitsgesprächen dolmetscht. So wird sowohl die Unmittelbarkeit als
auch die Expertise(n) gewährleistet. * So habe ich Jo und Katharina sowie Joseph Given, der Interlinearübersetzer ins Englische, nach ihren Erfahrungen und Herangehensweisen bei der Werkstatt gefragt; aus Platzgründen folgen hier nur Auszüge. J. O. Morgan [Das Wort], das ich
schließlich als „disinterestedness“
übersetzt habe, das war interessant, weil ich spürte, dass die Struktur
des langen deutschen Wortes [Unbeteiligtheit, I.C.] für die englische
Entsprechung maßgeblich sein müßte; es funktionierte als Abstraktum,
aber auch im Sinne des Rhythmus. … Das Wort „disinterest“ ist natürlich
gängiger, hat aber eine andere Stimmung und Wirkung; es wird auf der
zweiten Silbe betont, während dis…ness viel mehr Betonungen hat. Vor
allem eine am Ende, das macht es als Schlußwort des Satzes stärker. Um mich auf die Arbeit zu konzentrieren, mußte ich mich fast (evtl. durch Tricks) überzeugen, an meinen eigenen Gedichten zu arbeiten, damit ich mir genauso viel Mühe geben würde, wie bei meiner eigenen Arbeit. Nur mußte ich von Katharinas deutschen Originalen ausgehen – also habe ich so getan, als wären die Originale meine eigenen, sehr ausführlichen Notizen. Das klingt vielleicht abwertend, aber ich nehme meine Notizen sehr ernst; auch wenn ich mich nicht genau erinnern kann, warum ich etwas notiert habe, weiß ich, daß ich mich daran halten muß, mir Mühe geben muß, die Bedeutung herauszuarbeiten. Zur gleichen Zeit hatte ich aber auch noch vor Augen, daß diese Stimme nicht meine, sondern Katharinas war. Also habe ich die Gedichte gleichzeitig als ihre Gedichte und meine Gedichte behandelt. Es klingt vielleicht verwirrend, aber diese Art „Schichtung“ von Geisteszuständen finde ich sehr produktiv bei vielen Arten von Arbeit. Sozusagen. Katharina Schultens bei versschmuggel war es sehr gut, direkt mit jo sprechen zu können - zwar spricht er kein deutsch, aber er hat die struktur der sprache schnell verstanden, wir sind ja wort für wort durch die deutschen texte gegangen, und er hat mir die freiheiten, die ich mir genommen habe, sozusagen nachträglich gestattet bzw. fand die ideen dahinter gelungen. das hat mich sicherer werden lassen. ich habe trotz der interlinear-übersetzungen versucht, die texte nochmal direkt und auch sehr rasch selbst "as is" zu übersetzen, einfach, um ein gefühl für den text, seinen 'flow', zu entwickeln. dann habe ich beides nebeneinander gelegt und gearbeitet. beim übersetzen bzw, beim
erneut-schreiben
der texte habe ich ganz automatisch das getan, was ich auch tue, wenn
ich selbst einen text schreibe. das hat bei mir viel mit rhythmus und
fluss zu tun, mit metrum, das ich nicht bewusst nutze, sondern ziemlich
verinnerlicht habe. dieser prozess überlagert sich dann auch gleich mit
der arbeit im lautlichen, klanglichen. das ist viel tasten und suchen
und try-and-error dabei, und dann ergibt sich das eine aus dem anderen,
und der text wächst.
Joseph Given Es war nicht wirklich möglich, bei den interlinearen Übersetzungen den poetischen Inhalt von Katharina Schultens Lyrik von auf eine (für mich) zufriedenstellenden Art und Weise zu berücksichtigen. Die Aufgabe bestand darin, eine Arbeitsvorlage für die Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Natürlich musste ich das verstehen, was ich lese; zugleich musste ich aber jegliches Verständnis „ausschalten“; jede Auffassung von Lyrik ist subjektiv und meine eigene Subjektivität wäre ein Hindernis für die freie Entfaltung des eigentlichen Übersetzers gewesen. Es ging also nicht darum, einen fertigen Text zur Verfügung zu stellen, sondern darum, eine Aneinanderreihung von Möglichkeiten aufzuzeigen. Meine Rolle bestand darin, so weit wie möglich kein Mitglied der Gruppe zu sein. Ich glaube, die eigentliche Intention der interlinearen Übersetzungen bestand darin, einen Rahmen anzubieten, der die ökonomische Verwendung der vorhandenen Zeit für die eigentliche Übersetzung in der Gruppe ermöglichen sollte; dabei wollte ich aber auch möglichst viele Richtungen andeuten, um den Einsatz kreativer Energie zu ermöglichen. Ich wollte aber konkrete Vorgehensweisen nicht vorgeben. Auf jeden Fall war das interessant für mich, auf den grammatikalischen Inhalt lyrischer Texte einzugehen. Ich habe beobachtet, wie Grammatik und Thema miteinander verflochten sein können, aber auch wie sie einander widersprüchlich/fast kritisch gegenüberstehen können. Dieser kühle Umgang mit lyrischen Texten war einerseits faszinierend, andererseits kam es mir fast „moralisch verwerflich“ vor, das Lyrische auf kalte Analyse auf der Wortebene zu reduzieren. |