| Hieronymus I: Reine Bildbetrachtung |
![]() Er ist der Schutzheilige der Übersetzer, aber ich weiß wenig über ihn. Es ist vielleicht besser so – als Kirchenvater scheint er mir reichlich unsympathisch. Und doch ist er vor allem Kollege. Sympathisch seit jeher als Ikone: Sein Bild ist die Vertrautheit der Schreibstube in magischer Steigerung. Denn die Stubenkatze vorm Schreibtisch ist ein Löwe. Hieronymus hat dem Löwen einen Dorn aus der Pranke gezogen, seitdem ist er zahm und dient ihm, dem ersten Bibelübersetzer. So viel weiß ich. Die schönste Darstellung des Hieronymus, die ich kenne, ist eine kleine Radierung von Rembrandt aus dem Jahr 1648. Im Vordergrund, mitten im Bild, als Einziges voll ausgearbeitet: eine wüste alte Weide. Rechts, unterm einzigen Ast, schemenhaft: Hieronymus, über die Arbeit gebeugt, selbstvergessen. Haare zerzaust, Beine verkrampft, die Brille rutscht ihm auf die Nasenspitze. Ein breiter sommerlicher Hut liegt neben ihm in der Sonne. Die Bücherstapel vor ihm sind dagegen im Schatten, nur zu ahnen; alles geht in der Schraffierung unter, in Tinte, als mache sich sein wildes Gekritzel hier breit. Der Schädel auf den Büchern ist gerade noch erkennbar, durch den Einsatz als Briefbeschwerer alltäglich geworden, vergessenes Memento Mori. Überhaupt ist der Schreibtisch kaum auszumachen: ein Ästlein nur, die Papiere abblätternde Rinde, der Schädel ein Knorren des Baumes. Links lugt der Kopf des Löwen hinterm Baum hervor. Die Augen geschlossen, so scheint es zunächst: ganz der vergnügt ruhende Kater. Aber sie sind offen, der Blick ist wach, aus dem Bild hinaus gerichtet. Er macht sich seine eigenen Gedanken. Und doch liegt gerade in diesem abgewandten Blick die Eintracht, die Verbundenheit mit seinem Herren: Würde Hieronymus vom Schreibtisch aufschauen, er würde in dieselbe Richtung blicken. Doch er sähe nur den Baumstamm vor seiner Nase. Er in seiner gemütlichen Ecke, vor Ablenkungen geschützt. Am Bildrand sein Löwe, der schweifende Blick wie der seines eigenen geistigen Auges. Die Zweisamkeit mit dem Tier macht das Wesen des Hieronymus aus – zumindest des Hieronymus der Bilder –, das, was ihn mir, der Heidin, nahe bringt. Während aber die Tierliebe des Franziskus mit Menschenliebe einherzugehen scheint – freilich wieder in meinen naiven Heidenaugen – wirkt der Hieronymus wie jemand, der Tieren besser leiden kann als Menschen. Was nicht gegen ihn spricht. Ein Tier ist das Fremde schlechthin, das Andere zum Menschen. Dieser Löwe nun ist das Andere ins Magische gesteigert. Ein wildes Tier zum Gehilfen hat eigentlich nur ein Magier – das ist älter als christliche Bilder. Die Katze der Hexe, der Rabe des Zauberers, der Wolf des Schamanen – in Wirklichkeit ein Geist, ein Dämon: Wer dient wem? Familiar, heißt ein solches Tier auf Englisch, Vertrauter, mehr noch, Familie. Irgendeine halbvergessene Verwandtschaft. Das deutsche Wort, Schutzgeist, entbehrt des Paradoxen: das vertraute Fremde, der fremde Vertraute. Doch gerade darin liegt die Logik dieses Bildes. Dem Abt Hieronymus dient der Löwe als Lastträger und als Hüter der Esel. Dem Übersetzer Hieronymus dient er durch Anwesenheit, durch reines Fremdsein. Oder dient Hieronymus ihm? Bei der Harmonie, die zwischen ihnen herrscht, erübrigt sich die Frage. Also lebt Hieronymus in Eintracht mit dem Anderen – der so ganz anders geblieben ist. Er hat sich angeeignet, was nicht anzueignen geht. Er hat den Löwen domestiziert und ist dafür selbst verwildert. Dass ihm der Schreibtisch zuwuchert, ist ihm nicht einmal aufgefallen. Alles scheint ihm so vertraut. Er geht in der Landschaft unter. Ein guter Übersetzer, so heißt es, ist unsichtbar. |