Lyrik von Jetzt (Björn Kuhligk, Jan
Wagner (Hrsg.) )-
Nimmt man dieses Buch zum ersten Mal zur Hand, könnte man - besonders als
bibliophiler Minimalist - von einem unguten Gefühl übermannt werden:
Das Buch ist hässlich. Nein - nicht einfach hässlich - es erinnert,
mit seinem Folieeinband und dem aufs Alltägliche anspielende Bläschenfoliendesign,
vielmehr an das Schlimmste, das man sich vorstellen kann: ein Verschenkbuch mit
dem Anspruch der Breitentauglichkeit.
Doch genau dies ist diese Anthologie nicht. Björn Kuhligk und Jan Wagner
unternehmen den Versuch einer Momentaufnahme, eines Querschnitts durch die aktuelle
- nein - durch die aufstrebende und oftmals noch ungehörte Lyriklandschaft
unserer Tage. Das Ziel ist, wie im Vorwort von Gerhard Falkner bemerkt wird, eine
dokumentarische Anthologie ohne wertendes Sortieren anhand der Vorlieben der Herausgeber.
Nicht, was dem Ideal entspricht soll gezeigt werden - sondern das, was vorhanden
ist, was sich bereits eine Stimme verschaffen konnte oder noch um diese ringt.
Enttäuschend ist nur, dass gerade dieser Versuch auf ausgeprägte Kritik
stößt, dass sich die Herausgeber mit dem Vorwurf der Nestbeschmutzung
konfrontiert sehen müssen - und zwar gerade deshalb, weil sie ihr Buch für
unkonventionelle, nicht etablierte Autoren und ihre Texte öffneten, weil
sie es wagten eine Notwendigkeit in die Tat umzusetzen und auf die Auswahlinstanz
wertprägender Literaturkritiker zu verzichten.
Dem Ergebnis merkt man dies freilich an - und zwar auf eine gesunde und erfrischende
Art und Weise. Jeweils vier Texte von insgesamt 74 jungen Autoren - wobei jung
hier meint, dass das Geburtsdatum nicht vor 1965 liegt - konnten versammelt werden
und stehen in ihrer jeweiligen Eigenheit gleichberechtigt und unkommentiert nebeneinander.
Ein Prinzip der Anordnung ist mir nicht ersichtlich und dessen Fehlen mag zwar
chaotisch erscheinen - wirkt auf mich allerdings konsequent, wenn man bedenkt,
dass es sich bei diesem Buch eben nicht um eine geführte Ausstellung, sondern
um einen Pool von Werken bekannterer und unbekannterer Lyriker handeln soll, aus
dem sich jeder Leser jene Perlen fischen kann, die ihm am interessantesten oder
überraschendsten erscheinen. Jede Wertung oder Einordnung in lyrische Schulen
oder Traditionen wäre hier kontraproduktiv. Denn nicht einzelne Stimmen oder
Formen sollen hier hervorgehoben oder gewürdigt werden, vielmehr scheint
es den Herausgebern wichtig zu sein, dass es eine junge Generation von Lyrikern
gibt, deren Werke Beachtung verdienen.
Wer nun erwartet aus "Lyrik von Jetzt" einen einheitlichen Ton oder
gar eine geeinte Stimme ableiten zu können, wer sich erhofft hatte eine neue
Epoche entstehen zu sehen oder die Beantwortung bzw. Fortführung der Postmoderne
erleben zu können, der muss enttäuscht sein. Denn vor allem eines zeichnet
jene junge Generation von Lyrikern aus: die Unterschiedlichkeit, dies Besinnen
auf die Wahlmöglichkeit unterschiedlicher Wege. So werden vorangegangene
Formen, Inhalte und Aussagen zitiert, fortgeführt, zerstückelt und variiert
- eine gemeinsame Haltung gegenüber diesen existiert nicht – und ab
und an tritt deutlich hervor, dass diese auch nicht relevant wäre.
Leider ist es so, dass um dieses Buch ein regelrechter Streit entbrannt ist, aus
dem es schlecht geredet hervorzugehen droht - wohl auch, weil er von denen ausgetragen
wird, deren Meinung bei der Auswahl der Autoren und Texte vollständig ignoriert
wurde. Vielleicht ist es ein Streit ums Rampenlicht, vielleicht ein Streit der
Generationen. "Lyrik von Jetzt" mag nicht die Bibel zeitgenössischer
Lyrik sein - vielleicht aber eine Art Katalog, eine Liste von Ideen und Einrichtungsvorschlägen
bzw. Trendaufzeigern, die auch durch die detailierten bibliographischen Biographien
aller vertretenen Autoren gehaltvoll wird.
Uwe Borowski