Ich rieche die Pferde
in Polen
SCHöNHEIT UND SCHOCK
Der slowenische Dichter Tomaz Salamun ist Provokateur, Blasphemiker, Maskenspieler.
Ist er ein "Scheusal" oder ein "Genie", gleicht er eher einem
"Seeräuber", einem "Monstrum" oder doch mehr dem asketischen
"hl. Franziskus"? Tomaz Salamun, der produktivste Störenfried und
wortmächtigste Häretiker in der slowenischen Gegenwartsliteratur, hat
viele widersprüchliche Selbstbeschreibungen parat. Es hat sehr lange gedauert,
bis man hierzulande von dem ausdauerndsten Rebellen der südosteuropäischen
Literaturszene Notiz genommen hat. Erst mit 30-jähriger Verspätung kann
man jetzt die Wort-Kunst des Autors Salamun kennen lernen, dank des großen
Übersetzers Peter Urban und dank des Entdeckermuts der Wiener "Edition
Korrespondenzen".
Der erste Versuch, die Dichtkunst des in Ljubljana lebenden Tomaz Salamun den
Deutschen nahe zu bringen, war 1972 nicht sonderlich erfolgreich verlaufen. Seit
seinem poetischen Debüt im Jahr 1966, als er sich mit seinen spektakulären
Aktionen in der kleinen Avantgarde-Szene seines Landes um jede Karrierechance
brachte, hat Salamun viele Provokations-Gesten, Häretiker-Rollen und Protestmuster
durchgespielt: den spöttischen Herausforderer der Macht, den Avantgardisten-Schreihals,
den Russenschreck, den Zertrümmerer der Tradition. Und er hat alle diese
Haltungen mit großer Unerschrockenheit bis in die letzte ästhetische
Konsequenz ausprobiert. Das trug ihm 1964, als der damals 23-jährige Redakteur
einer Literaturzeitschrift mal wieder gegen die Doktrinen der jugoslawischen Kulturpolitik
aufbegehrt hatte, eine Gefängnisstrafe von zwölf Jahren ein. Der internationale
Protest gegen die titoistische Willkürjustiz bewirkte die Freilassung des
Dichters nach fünf Tagen Haft. Seither ist Salamun eine Ikone der südosteuropäischen
Avantgarde, auch wenn sein Ketzer-Ruhm in Slowenien allmählich zu verblassen
scheint, wie der Autor selbst in einem Gespräch mit der Zürcher Kritikerin
Ilma Rakusa selbstironisch eingeräumt hat.
Was er allerdings 1966 in seinem lyrischen Erstling Poker vorlegte, ist auch heute
noch dazu geeignet, die altehrwürdig-harmonisierenden Vorstellungen von Lyrik
zum Einsturz zu bringen. Da ist der grimmige Fanfarenstoß des Avantgardisten,
der mit der ungebärdigen Aufladung des eigenen "Ich" jedwede Ansprüche
eines Kollektivs verscheucht. Salamun folgt ähnlichen Initiationsriten wie
die Avantgardebewegungen Westeuropas: Die Phantasie verhängt den Ausnahmezustand,
die funktionale Vernunft wird außer Kraft gesetzt und die Sinne erklären
ihre Autonomie. Alles, was sich den Phantasmagorien des "Ich" in den
Weg stellt, wird mit kühnen Metaphern und überraschenden Bildeinfällen
beiseite geschoben. Nicht nur die Ideologien des einheimischen und des importierten
Kommunismus, sondern auch jede Form von Bedächtigkeit oder Verhaltenheit
werden vom Assoziationsstrom mit fort gerissen. Es geht ziemlich lautstark zu
in diesen frühen Gedichten, der Dichter zeigt sich verknüpfungssüchtig
und rauschbereit.
An Gerüchen und rauschhaften Augenblicken der Vergangenheit entzündet
sich die Poesie: ich rieche die pferde in polen, in elblag ruinen / ich rieche
das wasser, das blut, die riesigen bretter auf den gestellen / in der tatra verschwindet
jürgen, mit fackeln und hunden haben sie / ihn herausgeholt als er schon
nicht mehr atmete / fresken im campo santo, jeden tag lade ich acht tonnen ab
/ die straßen manhattans rieche ich, dampf spritzt, mit dem kopf / krache
ich gegen taxidächer/... mimikry rieche ich, ich rieche monterey ... So regiert
in den frühen Gedichten ein Sturm-und-Drang-"Ich", das vor Vitalität
und Übermut zu bersten scheint. In langen Reihungen und Wiederholungen und
mit langem Atem durchstreift der Dichter sein Terrain, und es entstehen schöne
Rhapsodien, die einmal an Helmut Heissenbüttels listige "Textbücher"
und dann wieder an die großen Litaneien der Beat Poets erinnern. Bei jeder
Gelegenheit suchen Salamuns frühe Verse die Verbindung von Schönheit
und Schock, den rüden Zusammenprall von hohem Ton und schriller Dissonanz:
ich rieche die concordance des temps, / ich schmuggle afghanistan / wettlauf zwischen
kassierer und fatima, ich rieche die hure auf / den schultern der soldaten /...
ich rieche schlauheit und verbrechen / ich rieche transgression, ich rieche, schlafe.
Die poetische "Transgression", die Überschreitung poetischer Geschmacks-
und Tabu-Grenzen ist eine Lieblingsbeschäftigung Salamuns. Das gelingt in
den ganz frühen Gedichten noch besser als dann Anfang der siebziger Jahre,
als Salamun zu einer seiner ausgedehnten USA-Reisen aufbricht und in San Francisco
und New York die Nachfahren der Beat Poets entdeckt. Frucht dieser Begegnung sind
weit ausschwingende Erzählpoeme, in denen Salamun den rhapsodischen Ton und
die kolloquiale Gestik von Autoren wie Lawrence Ferlinghetti oder Anselm Hollo
adoptiert hat. In diesen Gedichten, von denen einige Exempel in dem Auswahlband
Vier Fragen der Melancholie zu finden sind, klingt Salamun wie ein genuin amerikanischer
Dichter. Und diese sympathetische Fortführung amerikanischer Motive und Tonlagen
mag wohl mit dafür verantwortlich sein, dass sein Stern in den USA mittlerweile
weitaus heller strahlt als in seiner slowenischen Heimat.
Die schockhafte Konfrontation des slowenischen Fremden mit New York wird im lässigen
Alltags-Slang reportiert ("Das erste Mal, als ich nach New York City kam,
/ hatte ich Angst wie ein Hund."), und Salamun zitiert umgehend den Gestus
des long poem. In seinen intensiveren Gedichten vergewissert er sich seiner stärksten
Stilmittel: Einer emphatischen Zeile, dem zaghaften Ansatz eines hohen Tons wird
umgehend ein kühler Sarkasmus entgegen gehalten. Wenn einmal religiöse
Töne angeschlagen, Motive des Göttlichen oder des Erhabenen aufgerufen
werden, werden sie sofort mit lapidaren oder ironischen Zeilen konterkariert.
Das Reizwort "Gott" wird hier buchstäblich ausgenüchtert.
Oder es kommt zu verwirrend blasphemischen Szenen: Christus ist mein Sexualobjekt,
deshalb / bin ich ethisch unproblematisch. Ich treibe / ihn auf die Wiese. Weide
ihn, wie ein Hirtenjunge. / Ich putze ihm die Läuse und Drüsen. Ob wir
beide / uns abspülen sollen unter dem Baum?
Es ist indes erstaunlich, wie frisch und frech und unverbraucht die Stimme des
Dichters Tomaz Salamun noch nach 35 Jahren lyrischer Praxis klingt, wie originell
und erfindungsreich seine Bildfügungen selbst in den strapaziertesten Genres
wie dem Liebesgedicht sind. Den politischen Erregungen der letzten Jahrzehnte
kehrte er stets demonstrativ den Rücken zu. Mit dem überhitzten Nationalismus,
der sich in Slowenien nach dem Zerfall Jugoslawiens epidemisch ausbreitete, will
er nichts zu tun haben. Da vertraut der zur Zeit durch Berlin und andere europäische
Kapitalen vagabundierende Salamun doch lieber den Mehrdeutigkeiten des poetischen
Worts. Auch wenn er mitunter die poetische Sphäre heftig begrübelt und
ihre Legitimität schroff in Frage stellt: Ich fahre den Menschen in den Mund
mit dem Kopf / vorneweg und töte und gebäre sie, / töte und gebäre,
denn ich schreibe.
Michael Braun
Vier Fragen der Melancholie. Gedichte. Slovenisch/Deutsch. Aus dem Slovenischen
von Peter Urban. Edition Korrespondenzen, Wien 2003, 184 S., 22,20 EUR
Aber das sind Ausnahmen. Gedichte. Aus dem Slovenischen von Peter Urban. Edition
Korrespondenzen, Wien 2004, 96 S., 14 EUR
zuerst veröffentlicht in: FREITAG, 14/2004, 26.03.2004