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Kristoffer Cornils // zu „Druckkammern“, Max Czollek:

Wer unter 28 ist oder zumindest so aussieht und sich darüber noch in der Berliner Lyrikszene bewegt, wird der Frage bisher kaum entkommen sein: „Und du, gehörst du auch zu diesen g13-Leuten?“. Tatsächlich hat sich der DIY-inspirierte Literaturworkshop, der seinen Anfang in einer Friedrichshainer Studentenwohnung fand, zu einem Hype gemausert. Der eigene Blog, die erste gemeinsame Publikation und g13-Lesetouren durch alle deutschsprachigen Regionen tun ihr Übriges. Mit „Druckkammern“ legt nun das erste g13-Mitglied seinen Debütband beim Verlagshaus J. Frank vor.

In gewisser Weise ist es eine schwierige Publikation für den Autor Max Czollek. Er muss sich einerseits dagegen behaupten, auf ein Wordpress-Tag reduziert zu werden. Andererseits offenbart sich über die 80 Seiten des Buches schnell ein Ringen um Identität, eine eigene Stimme. Mit einem Kopfnicken in Richtung von Dichtern wie Majakowski, Ginsberg und Tucholsky wird eine Traditionslinie nachgezogen, die politisch linke Einstellungen und literarische Produktion ineinander übergreifen ließ. Auch das Jiddische und die jüdische Kultur werden wiederholt herbeizitiert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Lyrik Czolleks nun der Umgebung, in der sie entsteht. Dem urbanen Raum und dessen Sound widmen sich ähnlich viele Gedichte wie Reiseerfahrungen, über Kurdistan bis zum Platz des himmlischen Friedens und zurück in die Berliner Hinterhöfe geht es ohne das geringste Anzeichen von Kinetose.

Diese Pole, aus denen sich die Gedichte Czolleks speisen, sollen nun die titelgebenden „Druckkammern“ durchlaufen, in eine Form gepasst werden, die einen eigenen Charakter hat. Doch weniger verdichtete Intensität denn viel mehr Verknappung und Fragmentarisches findet sich in Czolleks Versen: „aufgedrehter himmel / powerchord der rushhour / im parabol der bäume / tonarme wie äste // bänke als repeat / funktion der grünanlage / wird eine letzte katze / durch das bild gejagt“.

Der Reihungsstil dominiert die Gedichte von „Druckkammern“. Die einzelnen Verse sind austauschbar, sogar Wörter könnte man nach Belieben umstellen. „connect / the dots“ heißt es wenige Seiten weiter. Das kann gut und gerne als eigentliche Programmatik verstanden werden: Als Angebot, die Wahllosigkeit der Versatzstücke in eine sinnhafte Ordnung zu überführen, die diese allein nicht innehaben. Die Vielzahl der Bilder, die Czollek in nur wenigen Versen aufkommen lässt, haben allerdings nur den Anschein von Plastizität, wirkliche Tiefe fehlt ihnen. Sie bieten ein Bastelset von Sinnangeboten an, sind Puzzles, denen kein Ganzes vorausgeht. Das ist zuerst nicht weiter schlimm, aber es lässt eine gewisse Verlegenheit erahnen.

Diesen Eindruck bestätigt das eigentümliche Pathos, das die Lyrik Czolleks regiert: Es rührt selten - wie im melancholischen „friedhof weißensee“ - von dem her, was besprochen wird. Es konzentriert sich vielmehr auf die Sprache selbst, die sich als poetisch inszeniert, sich stellenweise in der Geste zu genügen scheint. Über weite Strecken lesen sich die Verse tatsächlich wie „gedankenstriche für etwas / dessen bedeutung wir bis auf weiteres / auf kalte bänke schieben“.

Anders sieht das aus, wenn sich der Fokus von tableauartigen Stadt- und Landbetrachtungen hin zu Inhalten verschiebt, vor allem wenn die Gedichte einen politischen Kurs einschlagen. Wird die Shoa und der zeitgenössische Umgang mit ihr thematisiert, nehmen sie eine aggressive Schärfe an: „ich habe meine haut aufgespannt / für die vernunft / nun komm unter den lampenschirm“. Das droht jedoch schnell ins Plattitüdenhafte umzuschlagen: „unter der dusche / masturbiert er gerne / das ist unkompliziert // er hat gute freunde / wenn es sein muss / denkt er an auschwitz“. Das hat nicht das Zeug zur Provokation, es richtet sich an ein Publikum, für die die Hölle die anderen sind und die genau dies auch zu lesen bekommen.

„Druckkammern“ ringt um eine Stimme. Eine, die sich zwar als Aufnahme einer Tradition verortet, aber trotzdem den Zeitgeist im Auge behält. Seine stärksten Momente hat der Band jedoch immer dann, wenn er aus den dominierenden Formen ausbricht: Das narrativ gehaltene „als ich nicht wusste“, die symbolbeladene Brecht-Replik „an einen vorgeborenen“ fallen aus dem Rahmen und sind gerade deswegen stark. Auch sie sprechen einerseits für poetische Unentschlossenheit, eröffnen aber Alternativen zu einer dichterischen Programmatik, die über einen Band hinweg nicht überzeugen kann.

Verlagshaus J. Frank, Quartheft 35, Max Czollek „Druckkammern“

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