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Die Metapher1
In seinem Essay Die Sphäre Pascals2
skizziert Jorge Luis Borges die Geschichte einer Metapher, deren Anfang
er bei dem Rhapsoden Xenophanes von Kolophon vermutet, der den Griechen
"einen einzigen Gott vorschlug, der eine ewige Kugel war". Das
Motiv des einen sphärischen Gottes verfolgt Borges weiter - über
Platon, Parmenides, Empedokles, bis ins späte zwölfte Jahrhundert,
da "der französische Theologe Alain de Lille [...] die Formel
entdeckte [...], die künftige Jahrhunderte nicht vergessen würden:
'Gott ist eine intelligible Sphäre, deren Mittelpunkt überall
und deren Umkreis nirgendwo ist.'"3
Zitiert wird dabei auch der Theologe Albertelli, der "wie zuvor schon
Aristoteles" meint, so reden heisse, eine contradictio in adjecto
zu begehen, weil Subjekt und Prädikat einander aufheben. Und seltsamer-
und - wie ich glaube - bezeichnenderweise fügt Borges hier hinzu:
"Das mag stimmen, aber die Formel der hermetischen Bücher lässt
uns diese Sphäre nahezu schauen." Wenige Sätze weiter
unten sagt Borges : "Für den mittelalterlichen Geist war der
Sinn [jener Metapher] klar: Gott ist in jedem seiner Geschöpfe, aber
keines beschränkt ihn." Dieser "klare" Sinn der Metapher
lässt jedoch, scheint mir, viel weniger nahezu schauen als
die Metapher selbst. Auch ist dieser Sinn keineswegs klar (was allerdings,
da sich der Satz auf Gott bezieht, nicht verwundert), und vor allem scheint
er - im Vergleich zur Sphären-Metapher selbst - flach und banal.
Metaphern als Anspielungen
Es sei dahingestellt, ob Borges sich hier ein wenig ironisch auf die
vorgeblichen Sinnklarheiten mittelalterlichen Geistes bezieht.
Jedenfalls entspricht seine dem Mittelalter zugeschriebene Deutung der
Sphären-Metapher einer bestimmten theoretischen Erklärung der
Metapher.
Sie beruht auf einem Begriff von Anspielung, die auf den Sprachphilosophen
Paul Grice zurückgeht: Wenn man sagt: Heute ist der Wein gut,
dann kann man damit - wenn der Kontext danach ist - darauf anspielen,
dass man noch ein Glas trinken will. Mit Hilfe einer sprachlich ausdrücklich
gegebenen Aussage wird hier also eine andere unausdrücklich und indirekt
zu verstehen gegeben; eine Aussage, die nicht aus der Bedeutung der ausdrücklich
gegebenen erschlossen werden kann, sondern nur aus dem Kontext ihrer Äusserung.4
An dem gegebenen Beispiel nun ist nichts metaphorisch, jedoch wird dieser
Begriff von Anspielung (zuerst von John Searle) auch zur Erklärung
von Metaphern angewendet. Die Metapher ist dann eine Äusserung, deren
Bedeutung (bei Borges wohl Sinn) die Aussage ist, auf die die Metapher
anspielt.
Diese Erklärung impliziert eine bestimmte Folge für das, was
als Wahrheitswert einer Metapher angenommen wird: Ist etwa die Metapher
gegeben, dass Achilles ein Löwe ist, dann ist der Wahrheitswert der
Metapher nicht derjenige dieser offensichtlich falschen Aussage, sondern
der Wahrheitswert des durch die Anspielung zu verstehen gegebenen Vergleichs:
etwa der Aussage, dass Achilles so stark und kampfkräftig ist wie
ein Löwe.
Zu dieser Anspielungs- bzw. Vergleichserklärung der Metapher gehört
zudem wesentlich, dass die Aussage, auf die angespielt wird, als wörtlich
interpretiert wird.
Frauen sind Blumen, Augen sind Sterne, die Zeit ist ein Fluss, das
Leben ein Traum, der Tod ist ein Schlaf oder der Schlaf ist ein Tod.
Das sind einige von Borges' Beispielen für, wie er sagt, triviale,
jedoch perpetuierende Metaphern.
Er nennt sie vielleicht auch deshalb - wenigstens in meiner deutschen
Übersetzung - "Gleichungen", weil sie sich in den meisten
Kontexten sehr gut - im Sinne der skizzierten Anspielungserklärung
- als Anspielung auf einen Vergleich interpretieren lassen. So könnte
durch die Metapher der Schlaf ist ein Tod darauf angespielt werden,
dass man im Tod wie im Schlaf zur Ruhe kommt oder dass man im Tod
seiner selbst so wenig bewusst ist wie im Schlaf, oder dass man
im Tod wie im Schlaf für Sinneswahrnehmungen unempfindlich
ist usw.
Trivialität, Dauerhaftigkeit und Häufigkeit dieser Metaphern
ermöglichen nun zweierlei. Zum einen können sie leicht fortgesetzt
werden: Weil Frauen Blumen sind, knospen, blühen und welken
sie häufig, werden womöglich gepflückt, sind Rosen
oder Lilien oder gar Disteln usw. Hier gibt es ein ganzes
Feld bestellen, und eben dies eröffnet die zweite poetische Möglichkeit
(und sie wird von Borges hervorgehoben): Diese Metaphern sind Grundmuster
für eine "fast unendliche" Menge von Variationen. Borges
gibt eine Reihe von Beispielen für solche Variationen und das damit
verbundene Verbergen solcher Grundmuster: In Heines Vers: "Der Tod,
das ist die kühle Nacht" etwa erkennt er das Grundmuster "Der
Tod ist ein Schlaf" (hier wird auf die verborgene Gleichung durch
die Metonymie Nacht/Schlaf angespielt).
Borges' Beispiele können aber auch als implizite Kritik der Erklärung
der Metapher als Anspielung auf einen Vergleich gelesen werden. Denn sie
zeigen, dass auch auf die Metapher selbst angespielt werden kann und nicht
nur durch eine Metapher auf Vergleiche: "Der Tod, das ist die kühle
Nacht" etwa spielt in Borges' Interpretation auf die Metapher an,
dass der Tod ein Schlaf ist.
An einem weiteren Beispiel von Borges wird das noch deutlicher: "In
der fünften Aventiure des Nibelungenlieds erblickt Siegfried Kriemhild
zum erstenmal und für immer, und das erste, was wir von ihr hören,
ist, dass ihre Haut rosenfarben ist." Hier wird das Metaphern-Grundmuster
Kriemhild ist eine Rose bzw. Frauen sind Blumen durch eine
Aussage verborgen, die plausibel als wörtlich interpretiert werden
kann. So würde hier also mittels wörtlicher Rede auf eine Metapher
oder auch auf einen Vergleich angespielt: Ein Fall, der meines Wissens
in der Anspielungs- und Vergleichserklärung gerade nicht vorgesehen
ist (wenn er wohl auch mit dieser Erklärung auf bestimmten argumentativen
Umwegen vereinbar ist).
Eine implizite Kritik an der Metaphernerklärung als Anspielung auf
einen Vergleich kann auch aus Borges' mittelalterlicher Deutung
der Sphären-Metapher herausgelesen werden: Denn der Sinn, auf den
durch sie angespielt wird - dass Gott in jedem seiner Geschöpfe ist,
aber keines ihn beschränkt -, ist gerade kein Vergleich, wenn auch
eine Aussage von - wie immer zweifelhafter - Wörtlichkeit.
Metaphern sind Schläge auf den Kopf
Ich glaube also - und vielleicht mit Borges -, dass die Erklärung
einer Metapher als Anspielung auf einen Vergleich nicht beanspruchen sollte,
eine allgemeine Erklärung der Metapher zu sein.
Auch behandelt die Anspielungs- bzw. Vergleichserklärung einen wichtigen
Aspekt der Metapher nicht hinreichend, der gerade für Borges entscheidend
ist: Nämlich die Rolle der eigentlichen metaphorischen Aussage, etwa
auch der Aussage: "Gott ist eine intelligible Sphäre, deren
Mittelpunkt überall und deren Umkreis nirgendwo ist". Zufolge
der Anspielungserklärung ist sie nur Mittel zum Anspielungszweck.
Wie aber, wenn durch diese Metapher auf gar nichts angespielt würde?
Vielleicht ist der Sinn, der der Metapher nach Borges im Mittelalter
zugeschrieben wird, gar nicht etwas Angespieltes. Vielleicht sollte jener
Sinn eher als ein (wenn auch nicht gerade glücklicher) Versuch verstanden
werden, das Ergebnis einer Wirkung der Metapher auf den Leser in Worte
zu fassen. Das (nahezu) Schauen (von dem Borges spricht) selbst
wäre dann diese Wirkung, deren Resultat in jener eher flachen und
banalen Weise ausgesprochen wird.
Wenn das so ist, dann wäre im Beispielfall (und wohl auch in der
Literatur häufig) die Rolle der metaphorischen Aussage nicht die
eines Mittels zum Anspielungszweck, sondern diejenige, eine bestimmte
Wirkung hervorzurufen. Und gerade diese Ansicht entspricht einer weiteren
bekannten sprachphilosophischen Metaphernerklärung, nämlich
der von Donald Davidson.
In dem Aufsatz What Metaphors Mean argumentiert Davidson, dass
es so etwas wie eine Bedeutung einer Metapher nicht gibt; genauer,
dass eine metaphorische Aussage keine andere als ihre wörtliche Bedeutung
hat: Eine Metapher sage das aus, was sie wörtlich aussagt, und nichts
anderes. Was an einer Metapher metaphorisch ist, sei daher nichts Aussagehaftes
und habe demnach auch keinen Wahrheitswert. Das Entscheidende der Metapher
liege nicht in ihrer Wahrheit oder Falschheit, sondern - in ihrer Wirkung.
Davidson drückt diese Wirkung metaphorisch aus: Eine Metapher ist
ein Schlag auf den Kopf.
Borges stimmt mit Davidson insofern überein, als auch er vor allem
auf Wirkungen von bestimmten Metaphern aufmerksam macht - ob er nun von
den isländischen Kenningar berichtet oder etwa zur Metapher
Ich wollte, ich wäre die Nacht feststellt: "durch sie
möchte uns der Dichter seine Zärtlichkeit, seine Sorge spüren
lassen."
Es gibt also für Borges wohl Wirkungen von Metaphern, auf die die
Schlag-auf-den-Kopf-Metapher keineswegs zutreffen würde: Eine Metapher
kann ja eben auch Zärtlichkeit und Sorge spüren lassen, und
warum nicht auch Zartheit, Trauer, Heiterkeit, Wohlgefallen auslösen
und dies alles auch allmählich (und also nicht schockartig).
An Davidsons Metaphernerklärung ist vielfach und vielfältige
Kritik geübt worden. Ein triftiger Einwand gegen sie scheint mir
zu sein, dass sie nicht erklären kann, dass wir - auch beim Lesen
literarischer Texte - Metaphern manchmal sehr wohl Wahrheitswerte zuschreiben,
und es auch tatsächlich auf diese Wahrheitswerte ankommt. Wäre
beispielsweise Achilles in der Ilias als Angsthase dargestellt,
dann hielten wir die Metapher, dass Achilles ein Löwe ist, für
falsch. Und wenn wir von einer Frau mit roten Wangen sagten, sie sei eine
Lilie, so hielten wir das wohl auch für falsch. Und ebensowenig würden
wir über jemanden mit dem Satz Dein Schlaf heute Nacht war ein
Tod etwas Wahres sagen, wenn er sich im Schlaf unruhig auf dem Bett
hin und her gewälzt hat.
Ein zweites Argument gegen Davidsons Metaphernerklärung lese ich
aus Borges' Gedanken, dass viele Metaphern - in der Poesie wie auch im
Alltag - ziemlich konventionell sind, so dass sie keineswegs einem Schlag
auf den Kopf gleichen (eben diese Metapher wäre dann falsch!): Zu
diesen konventionellen Metaphern mögen gerade Borges' Grundmustermetaphern
zählen wie eben Frauen sind Blumen, Augen sind Sterne, der Tod
ein Schlaf, die Zeit ein Fluss usw.
Dennoch: Davidsons Erklärung macht immerhin darauf aufmerksam, dass
es - jedenfalls beim Lesen von Literatur - sehr häufig auf den Wahrheitswert
einer Metapher nicht ankommt, sondern auf ihre Wirkung. Allerdings - und
das scheint mir ein dritter Einwand gegen seine Erklärung zu sein
- gilt dasselbe auch für wörtliche Aussagen in literarischen
Texten. Man lese einmal unter diesem Gesichtspunkt die letzten Sätze
in Borges' Erzählungen. Sie sind sehr häufig Schläge auf
den Kopf, oder wenn nicht Schläge auf den Kopf, dann doch oft so
ergreifend und überraschend, dass sie die meisten Metaphern an Wirkung
übertreffen. Ein Beispiel für viele ist das Ende der Erzählung
Tlön, Uqbar, Orbis Tertius: Nach der Schilderung einer Welt,
in der Bischof Berkeleys esse est percipi Realität ist und
die Folgen dieser Realität auf das Leben der Menschen und deren Wissenschaften,
Literatur und Philosophie geschildert wird, endet die Erzählung mit
dem Satz "Zuweilen haben ein paar Vögel oder ein Pferd die Ruinen
eines Amphitheaters gerettet." - Eine Pointe, die ebenso witzig ist,
wie sie eine durch die ganze Erzählung vorbereitete Melancholie auszulösen
vermag; vielleicht weil sich da mit einem Mal ein Abgrund des Verschwindens
auftut, und dies nicht nur in der erzählten Welt.
Es ist deshalb, glaube ich, zweifelhaft, dass Davidsons Erklärung
etwas Metaphernspezifisches erklärt und nicht viel mehr einen wichtigen
Aspekt der Rolle von vielen Sätzen und Aussagen in literarischen
Texten beschreibt, seien diese nun Metaphern oder nicht.
Metaphern sind kognitive Prozesse
Metaphern wie der Schlaf ist ein Tod, der Tod ist ein Schlaf, das
Leben ist ein Traum, Frauen sind Blumen, Blumen sind Frauen, Augen Sterne,
Sterne Augen sind, wie gesagt, für Borges Grundmuster - er nimmt
an, dass es von ihnen nur eine geringe Anzahl gibt -, die in der Literatur
(vieler Zeiten und Völker) variiert und variierend verborgen werden.
Und je nach dem, wie und in welchem Kontext dies geschieht, können
diese Metaphern unterschiedliche Wirkungen haben. Borges zeigt eindrucksvoll
und überzeugend, wie der Reichtum des Metaphorischen und seiner Wirkungen
gerade in jenen Variationen besteht.
Diese Idee, dass es einige wenige - sozusagen in der Tiefe liegende -
Metaphernmuster gibt, teilt Borges nun mit einer weiteren Metaphernerklärung,
die in den letzten Jahrzehnten bekannt und einflussreich geworden ist,
mit jener von Lakoff und Johnson, wie sie unter anderem in ihrem berühmten
Buch Metaphors We Live By dargelegt ist.
Lakoff und Johnson verlegen die Metapher aus dem Bereich der Sprache in
den kognitiver nicht-sprachlicher Prozesse, die sie als von der Sprache
unabhängig denken und als "metaphorische Konzepte" begreifen.
Dabei kommt es ihnen nicht nur darauf an, dass unterschiedliche sprachliche
Metaphern eine gemeinsame kognitive Tiefenstruktur haben, sondern auch
- und dieses Moment ist ihnen viel wichtiger -, dass wörtlicher Sprachgebrauch
häufig auf kognitiven metaphorischen Operationen beruht: Zufolge
Lakoff und Johnson verstehen oder konzeptualisieren wir auch, wenn wir
Sprache wörtlich zu gebrauchen vermeinen, in dem Sinn metaphorisch,
dass wir ein konzeptuelles System auf ein anderes übertragen. Wenn
wir etwa feststellen, dass wir mitten in einem Gespräch oder
in Gedanken sind oder dass dieser oder jener Gesichtspunkt über-
oder untergeordnet ist, dann sind nach Lakoff und Johnson metaphorische
Operationen im Spiel; ebenso wenn wir von Begriffen oder auch von
Begriffsumfang oder Begriffsinhalt sprechen oder auch vom
Inhalt eines Textes usw. All diesen conceptual mappings liegen
unsere sinnlichen Erfahrungen zugrunde: Auf abstrakte oder auf mentale
Gegenstände werden Konzepte übertragen, die aus sinnlichen Erfahrungen
herrühren.
Allerdings sind Lakoffs und Johnsons kognitive Grundmuster bzw. deren
metaphorische Interaktionen (cross-domain-mapping) nicht genau
die Tiefenstrukturen der Metaphernmuster, die Borges meint. Denn Borges
fasst die Grundmuster als in erster Linie durch literarische, philosophische
oder historischen Traditionen vermittelt auf und also immer als sprachlich
oder sprachabhängig gegeben. Es ist jedoch auffällig, dass manche
Grundmuster von Borges wie die Zeit ist ein Fluss, das Leben ist ein
Traum auch Beispiele von Lakoff und Johnson sind oder sein könnten.
Die vielfältige Kritik an Lakoffs und Johnsons Metaphernerklärung
kann hier nicht referiert werden. Eine Passage, die als implizite Kritik
an ihr gelesen werden kann, finde ich aber bei Borges selbst: "Ich
glaube aber, wir alle spüren den Unterschied zwischen toten und lebendigen
Metaphern. Wenn wir irgendein gutes etymologisches Wörterbuch zur
Hand nehmen [...] und ein beliebiges Wort nachschlagen, können wir
sicher sein, dort irgendwo eine Metapher verborgen zu finden. [...] Wenn
wir uns um abstraktes Denken bemühen, müssen wir sogar vergessen,
dass Wörter Metaphern waren. Zum Beispiel müssen wir vergessen,
dass das Wort 'consider' (bedenken, berücksichtigen etc.) einen Verweis
auf Astrologie enthält - 'consider' bedeutete ursprünglich 'mit
den Sternen sein', 'ein Horoskop erstellen'." ("sidus"
bedeutet lateinisch Stern oder auch Gestirn.) Borges fährt fort:
"Bedeutend an der Metapher ist [...], dass sie vom Leser oder Zuhörer
als Metapher empfunden wird."
Eben deshalb beschränkt sich Borges in seinen Bemerkungen auf als
solche empfundene Metaphern. Was Borges hier am Beispiel der Entdeckung
von einstigen Metaphern durch Etymologie feststellt, lässt sich auch
Lakoffs und Johnsons Idee der konzeptuellen Metaphern entgegenhalten:
Dass man Metapher nur das nennen sollte, was in einem gegebenen
Kontext als Metapher empfunden (erlebt) wird oder zumindest plausibel
als Metapher interpretiert werden kann. Wenn diese Forderung vielleicht
auch in dieser Allgemeinheit selbst zweifelhaft sein mag, so sie ist es,
glaube ich, keinesfalls, wenn es sich um Metaphern in der Literatur handelt.5
Metaphern als Katachresen
Alle bisher skizzierten Formen des Umgangs mit Metaphern haben gemeinsam,
dass der Wahrheitswert der metaphorische Aussage selbst nicht der Wahrheitswert
der Metapher ist: Für die Anspielungs- bzw. die Vergleichserklärung
ist die metaphorische Aussage nur ein Mittel, um auf einen Vergleich anzuspielen,
dessen Wahrheitswert erst jener der Metapher ist. Für die Erklärung
nach Davidson hat die metaphorische Aussage nur eine wörtliche Bedeutung
und insofern einen Wahrheitswert, der nicht nur kein Wahrheitswert der
Metapher, sondern zudem für die Wirkung der Metapher irrelevant ist:
Die Metapher ist ein Schlag auf den Kopf (und die Aussage, die den Schlag
verursacht, kann ebenso wörtlich wahr wie wörtlich falsch sein).
Für Lakoff und Johnson schliesslich kommt der Wahrheitswert der Metapher
nicht in Betracht, da sie bestimmte tiefenstrukturelle kognitive Vorgänge
als metaphorisch erklären und sich nicht damit befassen, welcher
Wahrheitswert einer sprachlichen Metapher (die auf solchen kognitiven
Vorgängen beruht) in bestimmten Kontexten zugeschrieben wird.
Manche von Lakoffs und Johnsons Beispielen haben aber Merkmale, die für
das Lesen literarischer Texte äusserst folgenreich sein können:
Zum ersten sind jene konzeptuellen metaphorischen Operationen (einmal
angenommen, es gibt sie wirklich) für uns beim Sprechen oder Lesen
verborgen und können gerade deshalb - nicht anders als im Sarg der
Etymologie ruhende einstige Metaphern - in der Literatur wirkungsvoll
zum Leben erweckt werden. Das gilt insbesondere auch für Komponenten
der Grammatik wie Präpositionen, Präfixe und Adverbien, die
ansonsten keineswegs Kandidaten für Metaphern sind. Und sie könnten
insofern auch eine ähnliche Rolle spielen wie Borges unter Variationen
verborgene Metaphern-Grundmuster.
Zum anderen scheint mir für die Literatur folgenreich, dass Kategorien
verletzende bzw. übergreifende konzeptuelle Operationen, die Lakoff
und Johnson (metaphorisch gesprochen) unterhalb der Sprache ansiedeln,
in literarischen Texten auch als metaphorisch empfunden oder interpretiert
werden können: sprachliche Metaphern also, durch die Dinge gleichgesetzt
werden, obwohl sie (bestimmten Vorannahmen zufolge) - unterschiedlichen
Kategorien angehören. Eben diese Metaphern nenne ich katachretisch
- und dies vor allem deshalb, weil sie sich unter anderem dadurch auszeichnen,
dass sie etwas metaphorisch bezeichnen, für das sonst keine Bezeichnung
existiert.6
Ein einfaches Beispiel: Wir reden davon, dass Gefühle tief sind.
Was heisst das, eine solche sehr geläufige Ausdrucksweise - die auch
als wörtlich und nicht als metaphorisch empfunden oder interpretiert
werden kann - dennoch als metaphorisch zu empfinden oder zu interpretieren?
Ich glaube: es heisst auch zu bemerken, dass ein Ausdruck wie "tief"
in dem Satz, dass Gefühle tief sind, auf bestimmte Weise angewendet
wird: Nämlich vor dem Hintergrund von Vorannahmen, die mit dem Vorkommen
der Ausdrücke "Dieses Gefühl" und "tief"
verbunden sind. Zum Beispiel: Etwas, das tief ist, wird als etwas angenommen,
das räumlich und sinnlich wahrnehmbar ist; zugleich wird jedoch auch
angenommen, dass Gefühle nichts Räumliches und auch nicht-sinnlich
wahrnehmbar sind. Dennoch wird die Metapher ausgesagt, dass dieses Gefühl
tief ist. Das Ergebnis ist eine Aussage, für die gilt, dass - bedingt
durch jene Vorannahmen - logisch ausgeschlossen ist, dass sie wahr sein
kann. Wenn ein solcher Widerspruch und/oder ein entsprechender Konflikt
beim Lesen einer Aussage wie "Dieses Gefühl ist tief" empfunden
oder interpretiert wird, dann empfinden oder interpretieren wir die Aussage
als Metapher - allerdings als eine Metapher, die aus logischen Gründen
gar nicht wahr sein kann.
Man könnte sich an diesem Punkt damit zufrieden geben und - wie es
alle erwähnten Metaphernerklärungen tun - behaupten, dass es
auf den Wahrheitswert der metaphorischen Aussage selbst nicht ankomme.
Doch dagegen spricht ein spezifisches Merkmal, das die (eben deshalb von
mir so bezeichneten) "katachretischen" Metaphern haben: Sie
lassen sich häufig nicht plausibel durch eine wörtliche Aussage
ersetzen, sei diese nun ein Vergleich oder nicht. Man kann also "tief"
in vielen Fällen nicht plausibel durch einen wörtlich zu verstehenden
Ausdruck ersetzen (sondern allenfalls durch Wörter, die nicht weniger
metaphorisch sind.)
Wenn nun aber jene Annahmen gegeben sind, durch die logisch ausgeschlossen
ist, dass etwa die Aussage "Dieses Gefühl ist tief" wahr
sein kann - wie kann sie dann dennoch wahr sein?
Hier kommt nun, glaube ich, das ins Spiel, was Borges Schauen 7
nennt: Vielleicht schauen (erleben) wir beim Lesen eines literarischen
Textes, dass das gemeinte Gefühl - im Widerspruch zu unseren Vorannahmen
- tatsächlich tief ist. Oder wir schauen es wenigstens nahezu.
Und deshalb halten wir die Metapher für wahr, und was wir da für
wahr hielten, wäre dann die metaphorische Aussage selbst. Oder wir
zweifeln wenigstens daran, dass sie falsch ist; wir wissen nicht mehr,
ob sie wahr oder falsch ist.
Wollten wir uns Rechenschaft über unser Schauen und unsere Wahrheitswertzuschreibung
geben, dann müssten wir allerdings die Annahmen verändern, die
wir mit "dieses Gefühl" oder mit "tief" verbinden.
Wir könnten dann beispielsweise annehmen: Gefühle sind tatsächlich
räumlich, wenn auch nicht räumlich im selben Sinn wie eine durch
die Sinne erfahrene Räumlichkeit. So ähnlich vielleicht, wie
es bei Bergson und mit ihm wohl auch bei Proust eine innere Zeit, eine
temps durée, gibt - die nicht die physikalische Zeit der
Uhren ist -, so gibt es vielleicht einen anderen Raum als den physikalischen,
einen inneren Raum, vielleicht etwas wie Rilkes Weltinnenraum.
Vielleicht also können wir beim Lesen von Literatur und insbesondere
durch katachretische Metaphern erkennen, dass Dinge anders liegen und
deshalb anders kategorisiert werden können und sollten, als wir gewohnt
sind; und vielleicht können wir dadurch auch andere Dinge erkennen
(die wir mit unseren vertrauteren Kategorisierungen nicht erkennen können).
Hier scheint sich ein Erfahrungs- und Erkenntnisgebiet für die Literatur
zu eröffnen, das den Sinnen und mit ihnen wörtlicher Bezeichnung
entzogen ist, ein Gebiet, dessen Gegenstände und Merkmale nur durch
metaphorische Katachrese bezeichnet werden können. Und hier eröffnen
sich vielleicht auch jene mythischen oder mythologischen Bereiche, von
denen Borges sich so sehr angezogen fühlt.
Dass die katachretische Metapher in Borges' Schriften eine wichtige Rolle
spielt, schliesse ich nicht aus seinen Bemerkungen zur Metapher, sondern
aus manchen seiner literarischen Texte, etwa aus dieser englischen Übersetzung
einiger Verse seines Gedichtes Emanuel Swedenborg:
"Taller than the rest, that distant
Man would walk among men, faintly
Calling out to angels, speaking
Their secret names. What earthly eyes
Cannot see he saw: the burning
Geometries, the crystalline
Labyrinth of God, the sordid
Whirling of infernal delights.
[...]"
Burning Geometries, the crystalline Labyrinth
of God, the sordid whirling of infernal delights - eben diese
Metaphern könnten hier plausibel als katachretisch interpretiert
werden.
Auch können viele der Borgeschen Generalmetaphern plausibel als katachretisch
interpretiert werden: etwa, dass die Welt ein Labyrinth ist, dass sie
ein Buch ist; dass ein Buch (ein Text) das Universum ist; dass das Aleph
oder die Bibliothek oder der Zahir das Universum ist. Diese Art der katachretischen
Metapher zeichnet sich dadurch aus, dass die Ausdrücke, die in in
ihnen vorkommen, innerhalb der Erzählung selbst nicht oder nicht
ausschliesslich metaphorisch gebraucht werden: Denn Ausdrücke wie
Bibliothek (von Babel), Zahir oder Aleph werden in
Borges' Erzählungen auch wörtlich gebraucht. Ihr metaphorischer
Gebrauch erschliesst sich deshalb erst durch das Verstehen der ganzen
Erzählung im Verein damit, dass jene Ausdrücke auch Erzählungstitel
sind. Insofern nun die Bibliothek von Babel, das Aleph oder der
Zahir als sinnlich wahrnehmbare Gegenstände erzählt werden,
doch zugleich für das ganze Universum stehen und damit auch für
seine nicht-sinnlich wahrnehmbaren, etwa seine abstrakten oder auch mentalen
Komponenten, sind diese Metaphern im skizzierten Sinn katachretisch.
*
Eine enigmatische Frage als Abschluss: Wenn es nun literarische Texte,
ja einzelne Verse sind, aus denen, wie Borges' Bemerkungen zeigen, sehr
unterschiedliche Konzeptionen des Metaphorischen plausibel herausgelesen
werden können - sind dann die skizzierten Metapherntheorien im Sinne
des Berichts des Erzählers in Tlön, Uqbar, Orbis Tertius
nicht selbst Metaphysik und als solche Zweig einer phantastischen Literatur?
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1 Ich beziehe
mich im Folgenden auf Borges' Essay Die Metapher (in: Niedertracht
und Ewigkeit, Frankfurt a. M., 1991, S. 146 ff.) und seine Vorlesung
mit dem selben Titel (in: Das Handwerk des Dichters, Frankfurt
a. Main, 2008, S. 21ff.)
2 In: Inquisitionen,
Frankfurt a. M., 1992, S. 15.
3 Borges'
Beispiel ist eine Metapher, die eine Aussage ist. Aussagen haben,
so die sprachphilosophische Annahme, einen Wahrheitswert. Dass Metaphern
- und gerade in der Literatur - nicht nur in Aussagen, sondern ebenso
in Fragen, Anweisungen, Wunschsätzen usw. vorkommen und dann
keinen Wahrheitswert haben, wird hier ebenso vorausgesetzt, wie
dass wir häufig nicht imstande sind, metaphorischen Aussagen
einen Wahrheitswert zuzuschreiben, und auch, dass so eine Zuschreibung
für einen angemessenen Umgang mit dem Text häufig nicht
besonders wichtig ist. Der Einfachheit halber beschränke ich
mich in meinen Beispielen und Überlegungen auf Metaphern, die
Aussagen sind.
4 Das heisst:
Wird die Anspielung verstanden und somit, dass der Sprecher zu verstehen
gibt, er wolle noch ein Glas trinken, und wird er etwa deshalb zur
Rede gestellt, dann kann er mit Recht leugnen, dass er dies zu verstehen
gegeben habe, da es aus dem, was er ausdrücklich sagt, tatsächlich
nicht zu erschliessen ist. Dieses von Grice so benannte Kriterium
der "cancellability" zeigt, dass die Anspielung in keiner
semantischen Beziehung zur geäusserten Aussage steht: Weder
impliziert der geäusserte Satz die Anspielung, noch steht er
im Widerspruch zu ihr.
5 Auch auf
andere totalisierende Metaphernkonzeptionen wie diejenigen Nietzsches,
Derridas oder Paul de Mans, für die Sprache fundamental metaphorisch
ist, könnte diese Kritik angewendet werden.
6
Eine geläufige Definition des Begriffs der´Katachrese`:
Sie ist ein sprachlicher Ausdruck, der etwas bezeichnet, für
das es keine wörtliche Bezeichnung gibt. Bekannte Beispiele
sind etwa Tischbein, Flussarm, Fuss des Berges. Diese Ausdrücke
scheinen durch eine Übertragung Sinnlücken in unserem
Vokabular schliessen zu wollen.
7
Was könnte Borges unter "Schauen" verstehen? Ich
nehme an, dass er damit nicht nur bildhafte Vorstellungen meint
- und das wäre im Fall der Beispielmetapher von Gott als intelligible
Sphäre, deren Mittelpunkt überall und deren Umkreis nirgendwo
ist, ja auch unsinnig -, sondern ein Erleben, das zwar bildhafte
Vorstellungen enthalten kann, aber auch vieles andere: Gedanken,
Sätze, Ideen, Ahnungen, Gefühle - eigentlich so ziemlich
alles, das unser Geist aufbieten kann, wenn er mit einer so dunklen
Aussage konfrontiert ist, wie es jene Metapher ist.
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