ULRIKE DRAESNER
"zu einem glück? zum schein?"
Gedanken, die neueste Lyrik betreffend
::::::::Die neueste Lyrik ist all das, was jetzt
geschrieben wird. Doch so wird dieser Ausdruck nicht aufgefasst: er zielt auf
das Alter der Autoren. Mediale Gesellschaften brauchen Biographien vielleicht
in besonderem Maß, sie dienen als Authentizitäts-tags, die
den Texten angeheftet werden. Zugleich ist das Ordnungsdenken in Generationen
ein altes Werk- oder vielleicht auch Wehrzeug einer Menschheit, auf der in Shakespeares
Worten die "Zeit reitet", eine Zeit, die schönste Juwelen erzeugt,
unsere Körper, um sie dann mit ihrem grauen Stift zu zerkratzen.
::::::::Wer nach Generationen fragt will wissen,
was sich verändert. Heute mag er beim Lesen in einem Jahrgangsbuch danach
suchen, wie Erreichbarkeit, Überwachung und ubiquitäre Verschaltung,
wie 0-1-Ebenensprünge zwischen Virtuellem, Realem und Fiktivem sich niedergeschlagen
haben in Köpfen, die eine andere Welt nie kannten. Abgelagert auf der Fensterscheibe
"Seele": wie sie daran herunterrinnen, welche Spuren sie ziehen. Stellen
wir uns in den "neuesten Gedichten" also Computerspiele vor, Elfen
und Orgs, Videoclips, Musik, Pulvernahrung, in Wasser verrührt, neben Gedanken
zur Fouriertransformation, sozusagen als Basiswerkzeug?
::::::::Da klingt Nora Gomringers Ankündigung
"Ich werde etwas mit der Sprache machen" geradezu lakonisch. "Etwas
Besonderes mit der Sprache" ging bei vielen als Minimaldefinition für
Lyrik durch. Gomringer, Jahrgang 80, ist eine der jüngsten Autorinnen in
diesem Band, der älteste Beiträger wurde ... geboren. Gewiss eine
Generation, möchte man rasch nicken, und doch sind die im Neubuch
versammelten Autoren bei genauerem Hinsehen höchst unterschiedlich alt.
Das berühmt berüchtigte "Schreiben" richtet sich nicht nach
Geburtsjahren; für auktoriale Generationenbildungen ist das Erscheinen
des ersten Buches wohl ein ebenso wichtiges Datum. In dieser Hinsicht ist die
vorliegende Anthologie auf spannende Weise heterogen: nun wird es munter, geht
Berge rauf, Buckel runter.
::::::::Man weiß es längst: Generationen
sind Fiktionen. Die schöne alte Sehnsucht, das, was jemand tut, unter dem
Aspekt seiner spezifischen Lebens- und Zeiterfahrungen zu verstehen, mag zwar
mehr ein Verfangen denn ein Unterfangen sein - und doch ist es fruchtbar, diesem
Ansatz zu folgen. Wie sonst sollte man versuchen, den "Zeitgeist"
am Schlafittchen zu packen? Oder wenigstens einen Blick auf seinen neuesten
Mantelsaum zu erhaschen?
::::::::Das Wort Zeitgeist' hat einen schlechten
Ruf. Erst ausgehöhlt durch Überbenutzung, nun leicht antiquiert. Ich
möchte den Begriff ernster nehmen, steckt in ihm doch immerhin eine Ahnung
davon, wie Menschen sich in Kollektiven (ein weiteres Wort auf der Bedrohten-Liste)
bewegen. Wirtschaftliche, technische und kulturelle Paradigmen, Sprechweisen,
Inszenierungen, Moden und Stile, gebündelt in Strömungen, die uns
nicht unbedingt bewusst werden, wandern auf uns zu und durch uns hindurch. Sie
erzeugen unsichtbare, aber wirkmächtige Zusammengehörigkeiten - Farbe
und Geschmack einer Region, eines Landes, einer Zeit. Man selbst steckt mitten
darin, blind, Teil des Fischschwarms, dessen Bewegungsgesetze auch jene, die
von außen darauf sehen, nicht verstehen. So schwappt man inzwischen rasch
und ununterbrochen in verschiedenen Simultangestalten um den Globus, als "schwerer
Körper", polytroper Internetuser und erratischer Teil einer Fernsehgemeinschaft,
erschreckt von Giftwolken und schmelzendem Eis.
::::::::Da sitzt man - und hält einen Gedichtband
in der Hand. Und fragt sich, wie man etwas fühlt? Wie man es macht, etwas
zu fühlen? Wie man fühlt, dass man etwas fühlt?
::::::::Generationen sind Spiegel. Gedichtanthologien,
in Generationen geteilt, polieren diesen Spiegel. An manchen Stellen blenden
sie, das gehört dazu. An anderen halten sie luzide vor, was war, was verändert
wurde, was weiterspielt.
::::::::Das Neubuch bietet kein Panorama,
sondern eine Auswahl von 23 Stimmen. Rasch stellte sich beim Lesen das Gefühl
ein, tatsächlich jeweils in einen dem Autor zugehörigen Gedichtraum
treten zu können. Wie in einem langen Flur reiht die Anthologie diese Räume
auf. Wie aber sieht das ganze Gebäude aus?
Diese Frage ist unsinnig; es kann, allemal heute, keine Antwort darauf geben.
Aber ich möchte versuchen, ein paar Fäden zu legen in das immer changierende
Labyrinth "Jetzt". Sie können und wollen nur dem folgen, was
mir in die Augen fiel - und von dort weiter in mich hinein.
Animation (anfangen)
Die Gedichte im Neubuch bestätigen Erwartungen. Wie beruhigend, nicht wahr?
Clubs und Bars, Love Parade, Musik von heavy metal über Pop zu Reinhard
Mey, hie und da Liebe, sogenannt, kaum Sex, sehr wenig Sex, kaum Politik, sehr
wenig Politik, viel ich, viel du, ein wenig Paar, Vater, Tochter, Familienkonstellation.
Plötzlich aber springt etwas um; noch immer erkennt man es wieder, doch
nun hat es einen ganz eigenen Dreh. Vielleicht sollte ich sagen, eine Zeitschaltuhr
sprang an, eine Maschine muss es jedenfalls sein. Dann geht die alte Situation
"Mutter kommt auf Besuch" so:
meine mutter kam samt ihrem funkloch
wir mussten sie im garten aufstellen, wir
verharrten auf dem balkon und winkten
ich hatte augenringe und war bald heiser
das grollen einer lawine oben auf dem dach
die antenne ragte aus dem rücken meiner frau
::::::::Selbstverständlich und unaufgeregt
bietet Herbert Hindringers Gedicht sich an. Kurzes Gleiten, unmerkliches Rutschen.
Das alte poetische Mittel, etwas konsequent wörtlich zu nehmen (Mutter
mit Funkloch) führt zu einer Einwanderung der Medien in den Körper.
Wirklichkeit, eine Blendung, fast ein Klicken. Doch in Gedichten fällt
- infam, präzise, schnell - selbst dieses Klicken noch aus. Der Übergang
ist leise. Man spürt ihn erst, wenn man nachlauscht, wenn man ihn in sich
liegen lässt.
::::::::Die Fügung "liegen lernen"
aus Andrea Heusers langem Gedicht vor dem verschwinden, der Beginn einer
Strophe, fast ihr Titel, eignete sich dabei als minimalistische Anweisung sowohl
für die Autoren wie die Leser von Gedichten. Schöne mehrdeutige Sprachverschiebung:
lügen lernen, lieben lernen, liegen lassen. Fliegen?
::::::::Auch Nora Bossong und Daniela Danz arbeiten
mit präzisen Rückungen. Rhythmische und lautliche Linien formen, einander
umspielend, die Verse. "Aus einen Strauch / rast eine Ratte. Rüstung,
rosa Anorak" (Bossong). Vergleiche und wörtliche Wiederholungen wechseln
sich ab, um eine Figur sichtbar zu machen. Leise auf den ersten Blick, unheimlich
auf den zweiten Blick: "Ein Hund nagt am Reifen / des verrosteten Hängers,
ist gestern".
::::::::Der Rüstung folgen Drachen, Schätze,
Höhlen und Helden, in rosa-krachendes Licht getaucht. Zusehen? Oh ja. Für
Daniela Danz' Prinzessin zwischen Schlange und St. Georg bedeutet es allerdings:
::::::::und ihre Züge werden: Fels wie der
::::::::vor dem sie kniet - so geht als süßer
::::::::Anlass einer aventure sie ins Flirren
::::::::dieser zierlich kleinen Landschaft ein
::::::::Akribien der Versatzung in doppeltem Sinn:
Sätze, grammatisch korrekt gebaut, metrisch geladen, belebt von Mythen,
zurückgekippt in ein Bild. Eine weitere Sprungebene bringt Gomringer ins
Spiel. "Ich werde etwas mit der Sprache machen" zielt auf Sensationslust
als Schau- und Hörgier. Temporeich wird Unglaubliches in immer neuen Steigerungen
versprochen. Das endet, wie es enden muss - die Blase platzt. Am Schlusswort
des Gedichtes, "nichts", sind natürlich die Zuhörer/Leser
schuld; ebenso die Autorin sowie die Sprache an sich. Dabei hat sich das Versprochene,
das inhaltlich so schief ging, längst erfüllt. Das Besondere mit der
Sprache ist ja eben im Gedichtvortrag passiert: Es wurde mit der Stimme gemacht,
es war die Darbietung des Textes selbst: sein Nichts-im-Besonderen ist Besonderheit.
Er wird eine laute Heischungsgeste, eine vergängliche Aufmerksamkeitsfanginstallation.
::::::::Man kann hier vielfältige Sprach-
und Auftrittsechos hören. Der Sprechakt selbst zählt. Emphatisch wird
ein Raum ganz aus Sprache aufgebaut und wieder abgeblasen. Vor allem im Vortrag
wird deutlich, wie das Gedicht erlaubt, mit Sprache eine Handlung auszuführen
die nichts bedeutet als sich selbst.
::::::::Die Betonung des Sprechens gilt auch für
die Jargontexte Tina Gintrowskis sowie für Christian Schloyers "Sprechakt"
betiteltes Wiederholungs- und Mutationsgedicht: unklares Flattern gegen Gläser
(Schmetterlinge). Die Wortlinien (Verse) versuchen, etwas einzufangen, das sich
nicht fangen lässt. Reich tritt Sprache auf - überbordend - und zeichnet
eine Bewegung in die Luft, die durch Übertreibung, durch übertriebene
Wiederholung, durch immer wechselndes Zusammenstellen eines beschränkten
Wortvorrates im Akt des Sprechens selbst zeigt, wie versucht wird, etwas festzuhalten,
das, sich entziehend, als Spur seiner selbst dann doch im - soeben wieder verhallten
- Sprechraum steht. Filmische Bewegungen. Erscheinen als kaum erscheinen, als
gar nicht erscheinen, als kaum da sein, als verschwinden. Vorgefertigte, aber
konsequent verschobene mythische, gestische und rhetorische Figuren, erfunden
aus einem gefüllten Raum, werden animiert ins Leere geschickt. Animationen
als Linien, ausgezogen in einen ausweißenden Raum, ins Flirren. Da, und
fort. Vergänglich, doch wiederholbar.
Echo (-fangen)
Wiederholungen sind der Grundstoff von Gedichten.
::::::::Das weiß jeder - vielleicht wird
es deswegen immer wieder fast vergessen.
::::::::Wiederholungen scheinen so einfach. Ich
finde sie zunehmend rätselhaft. Trickreiche kleine Gebilde! Im Kopf haken
sie an Stellen an, die uralt sein müssen, massieren verborgene Knöpfe
und erzeugen Hormone, Ideen, (Leicht)Gläubigkeit. Hätte es den repeat-Schalter
schon gegeben, homo australophitecus afarensis hätte ihn mit breitem Grinsen
gedrückt.
::::::::Die Form eines Gedichts entsteht aus Wiederholung:
Reim, Strophe, Wortmelodie. Darüber hinaus macht Wiederholung nicht nur
im Einzeltext Musik, sondern wirkt zugleich quer durch die gesamte Dichtungstradition.
Dieser Reim, dieses Metrum, diese Form. Selbst wer meint,
sich frei zu machen, entgeht diesem Rhythmus nicht, als Echo ist er da, ein
Stück Raum dessen, was Gedicht überhaupt heißt und wohinein
man den eigenen Text baut. Wiederholung - und ein kleines "und": Verschiebungen
im Echoraum.
::::::::In die Berge, ins Wallisecho, nimmt Carl-Christian
Elze uns mit. Hohe Wände aus Stein, Fels, Sprache und Bild stellt er zusammen.
Sie werfen Bild- und Sprachstücke zurück, wiederholen, verschieben.
Reisegedichten droht, falls der Autor vergisst, seine Sprache mitzunehmen, der
nur touristische Blick. Elze hingegen gelingt es, aus dem Wallis Worte für
uns herauszuhören. Innenräume entstehen, denn die Echos blitzen außen
und innen hin und her. Sie sind ganz unrealistisch: Widerklänge etwa, die
Buchstaben hinzufügen. Auch dadurch zeigen sie sich als Projektion - Stücke
jener Interpretation, mit der das Auge jede Landschaft überzieht und für
sich, als Gedanken- und Erlebensraum, funktionalisiert.
::::::::Blitz, Störung, schnelles Gehen. Auch
die Sprache bewegt sich: die Typographie von Elzes Gedichten zeigt, wie Sprache
in der "luftnot" der Berghöhe laut oder leise schwillt. Auch
hier also ist die Aufführung mitgeschrieben, der Bergraum wird in Bild
und Stimme erfahren und als echoreicher Gedichtraum bezogen. Mit Lidern wie
Cockpitschlitzen, in der Nähe von Maschinen. Verbunden mit der hoffnungsvoll
ambivalenten Frage:
::::::::"dünne luft, verdünnt sie
dich / zu einem glück? zum schein?"
::::::::Während bei Elze Wiederholungen schon
im Druckbild auffallen, benutzt Andrea Heuser wörtliche Wiederholungen
als möglichst dezente Mittel, um von einer Bedeutung zu einer anderen zu
führen. An Vokalen bewegt das Denken sich entlang, der Gedichtbau erfolgt
betont aus der Wortlautung, fast ohne Brüche oder Schwellen scheint man
im Lesen zu gleiten. Auflösung der Hochsprechinstanz, des aufrechten Mundes:
Heuser sucht ein "SPRECHEN hier unten", bei Gräsern, Gleisen,
auf der Erde.
::::::::SCHLÜPFEN, die nachlässige lücke
::::::::in der zaunschale hindurch, als gäbe
es das
::::::::anschmiegen, zahn- und ränderlos,
hinein
::::::::kriechen ins blühen...
::::::::Bei Heuser und Elze wird Natur "in
extremis" genommen, als Höhenlage oder Untergrund, liegend oder schwankend.
Geht es gut, beugen mit der Sprache uns auch wir. Und legen das Ohr, schlüpfend
- aus der Puppe brechend - , an etwas (uns) Neues.
Normal Null (echo 2)
Liest man die Gedichte des Neubuchs, möchte man manchmal glauben,
Sprache sei eine Welle: wie viele Zitate, Mythenbrocken, Ortsschilder, Klischees,
Drachentöter und Frösche, biblische Rippen, Prinzessinnen, halbnackte
Helden sie angeschwemmt hat. Dazu Bezüge auf Gedichte von Plath, Benn,
Kling, Namen aus Kunst und Literatur, Unterschriften, Motti, Kommentare. Die
Ablagerungen werden nun wieder "ausgespuckt", die auktoriale Auswahl
dabei möglichst "unter der Hand" gehalten. Auf die Spitze getriebene
zitierte Sprechweisen lassen sich in konsequenter Künstlichkeit, als sozusagen
"natürliches" Sprechen auf Normal Null, benutzen, um Scheingeschichten
zu erzählen. Zierliche Haufen aus Werbesprüchen und Wirtschaftsfloskeln
bildet Tom Bresemann:
::::::::du auf der couch im living-
::::::::room mit deinen tele-
::::::::prompteraugen. und ich
::::::::nebenan, als host
::::::::age eines reality formats.
::::::::ist das jetzt eine dieser win/
::::::::win situationen
::::::::Man könnte dieses sprachliche Einwandern
und Ablagern, die Wiederkehr der Formate, in den Gedichten selbst zuspitzen.
Was ist es denn: Kontamination? Trance? Glück der Unterschiedslosigkeit?
Und vor allem: Wie zeigt es sich in der poetischen Sprache selbst?
::::::::Doch die damit implizierten Wertungen,
diese Metaebenendistanzen scheinen dieser Generation nicht wichtig zu sein.
Selbstverständlich ist dieser Satz eine hemmungslose Verallgemeinerung.
Ich schärfe eine Spur, schneide mit meiner Vorliebe fürs Nachdenken
und Analysieren ins Material. Bemerke: laute Töne scheinen suspekt. Denke:
vielleicht sind sie auch peinlich?
::::::::Das scheint mir vorsichtig und zugleich
übervorsichtig; es scheint mir zart und fremd.
::::::::Ich setze noch einmal an.
:::::moabiter balkon
::::::::es sind nur streichgeräusche, die
die luft
::::::::heut von sich gibt. auf dem ehemals
::::::::verseuchten spielplatz fliegen ein paar
kiesel
::::::::als salven einer rache vor die torschusswand.
::::::::ein laster holpert übers kopfsteinpflaster,
kreuzt
::::::::noch voller vorsicht die waldenserstraße.
drüben
::::::::hat der bäcker seinen kuchen reduziert,
wie immer
::::::::gegen siebzehn uhr. ...
::::::::Versteckt in einer überdeutlich ausgemalten
Stadttopographie (warum wird ausgerechnet die Waldenserstraße erwähnt?),
in Bildern scheinbarer Belanglosigkeit (Kinder spielen, sogar LKWs fahren vorsichtig),
mitten in einem Fast-Idyll mit Preisnachlass liegt bei Marius Hulpe der "ehemals
verseuchte spielplatz". Eine schlichte Aussage, der weder Klage, Kontext
noch Begründung folgen. In ihren besten Momenten erzeugen solche Nebenher-Sätze
Beklemmung. Für einen Augenblick glaube ich, den Raum zu sehen, aus dem
heraus gesprochen wurde. Er hat etwas second-worldhaftes, gerade in seinem Faktenton.
Waldenserstraße? Weil der Autor dort wohnt? Mag sein, und ist doch bedeutungslos.
Im Gedicht sind Namen selbst "streichgeräusche", Überdeterminationen.
Moabit, Waldenserstraße und der Bäcker "drüben" locken
in eine map. Google-earth anschalten und die Szene ansehen!
::::::::Überbelichtet, hyperreal. Gefühle
sind hier Kunst-Pflänzchen, Aufregung bleibt Geste. In Hulpes nächstem
Gedicht kämpfen Wildschweine im Wald um den Genpool - eine präzise
Beschreibung, unterkühlt und informiert zugleich. Manchmal fällt da
wohl auch der Mond herab, von einer stürzenden Maschine ist er allerdings
nicht zu unterscheiden.
::::::::Pech?
::::::::Faktum.
::::::::Auf rutschigem Grund. Denn Sprache ist
etwas anderes als eine Welle. Sie verschwindet nicht wieder. Sie baut Räume,
stellt Wände. Darauf spielen die Echos, spiegeln sich Bilder - und springen
zurück auf den, der spricht. Wände schützen und verstellen (Zugänge,
Ausblicke). Doch würde man deswegen sagen, Wirklichkeit wäre verstellt?
Die Frage mag seltsam scheinen. Doch langsam arbeite ich mich vor an den "heiklen"
Punkt - etwas, das die Gedichte mir im Untergrund zuzumorsen scheinen. Es gibt
ein Wort in ihnen, das nun weiterhilft. Es heißt
Kulisse (Echo, Wand)
Tatsächlich wird dieser Begriff samt einiger seiner gängigsten Ableitungen
in den Gedichten des Neubuchs erstaunlich häufig verwendet. Er überraschte
mich. Wer von Kulissen spricht, ruft nicht nur Bühnen(bilder) auf, Gaukelei
und schönen Schein. Wer von Kulissen spricht, suggeriert einen sicheren
Unterschied zwischen Echtem und bloßer Stellwand, zwischen Theater und
Wirklichkeit.
::::::::In manchem Vers mag das Wort Kulisse'
naiv gebraucht, in anderen so weit über den Rand geschoben sein, dass es
in seine eigenen Unsinnigkeit kippt. Es ist spannend, was dank des "medialen
Turns" seit Jahren mit Begriffen aus dem Zeigebereich, aus Theater, Aufführung,
Bild und Schein geschieht. Sie sehen aus wie vor 15 Jahren - und sind ganz verwandelt.
In Thien Trans "Finale Grande" erscheint gegen Ende ein simples "hinter
den Kulissen". Beiläufig (wie anders), aber doch als zentrale Gedichtidee
zeigt Tran, wie dieses "hinter" sich auflöst. Mit größter
Selbstverständlichkeit stehen an der Kulisse mit Kulissen versehene Kulissenbetrachter.
Vor den Augen tragen sie eine "Augenraumvorrichtung", eine "hightech-automatisierte
Objektivapparatur". Wo ist "hinter den Kulissen" nun?
::::::::Für das Große Ende nimmt das
Gedicht künstliche Luft und Goldbonbons. Gewiss, hinzu. Die Welt streckt
sich zum Jupiter und in die Tiefsee. Wahrnehmung wird nun als Extremsport betrieben.
Aber immer abgesichert, nämlich mit Durchbruch auf die nächste Bühne:
es grüßt das kleine Computerspiel.
::::::::Groß, hoch, glatt scheint "die
Wirklichkeit". Mit einem Gedicht auf sie zu zielen - die Armbrust anlegen,
dastehen als kleine schwarze Figur, am besten als Scherenschnitt, als Bild.
Kulissen sind endemisch, sie sind überall.
::::::::Zusätzlich interessant werden sie
aus einem zweiten Grund. Wer von ihnen spricht, nimmt Bühnen ins Gedicht.
Inmitten der inszenierten Belanglosigkeit und Nebensächlichkeit vieler
Gedichte, Höhe Normal Null, inmitten ihrer eingeübten Understatements
und ihrer Kühle, zeigt sich damit, dass versteckt, doch fühlbar, immer
(noch) (etwas) gezeigt wird. Also doch ein Aufhebens gemacht. Wenn vielleicht
auch nur einen Zentimeter hoch.
::::::::Merklich anders verfahren nur die bereits
zitierte Andrea Heuser und Norbert Lange. Hier gilt die Intensität des
Tons. Langes Hauptthema ist die Geschichte, ernst und witzig, verdreht, in lauten
Buchstaben und Zitaten. Stellwände erscheinen auch hier zuallererst: Kühlschränke
und Tagelieder - Maschinen und die Gedichtmaschinentradition. Dazu das deutsche
"es" als Handlungssubjekt. Geschickt in Wiederholungen gebettet, marschiert
es ein ins digitale Tagelied oder in das titellose "zerrrhakkt". Schreibweise
und Sprechton erinnern an Thomas Kling. So wird von Norbert Lange nicht nur
Geschichte, sondern auch die bereits medial gebrochene poetische Bezugnahme
eines anderen auf Geschichte ein weiteres Mal in Soundeffekte gespielt, verzerrt,
zitiert. "piepmatzinternes geschlinge". Manchmal verpassen die Gedichte
dabei ihrem Stoffteig einen tolldreisten "Dreh". So kommen im Kaiserbrötchen
Backfixwirklichkeit und Monarchenmentalität aufs schönste zusammen,
werden "ausgebacken" und in die Geschichtszüge gestopft.
::::::::In der Poesie gibt es, wie in anderen Gattungen,
Sprachverfahren, die eine Zeit lang sehr gefragt sind, dann aber brachliegen,
als müssten sie sich erholen. Montage/Collage gehören heute dazu.
Lange beatmet sie wieder. Dabei berührt er Geschichte in dem Wissen, dass
alles zugleich Fototapete sein mag. Nie weiß man, wo man sich gerade (be)findet,
und ob man nicht eben damit im nächsten Augenblick herunterkommt (an die
Fototapete gekrallt). Der Raum ist ein "take / zerfallen".
Voller "über und neben Sächlichkeiten" (Merten). Das "gesicht
als sach-/leistung ab(zu)liefern" (Bresemann).
Poolbildung (Echo "-isse")
Ideale Kulisse einer rechten "Kulissenbildung" ist so natürlich
wie "natürlich" die Natur, Grundstoff aller Pixel und Gene.
::::::::es war nicht ganz auszumachen, an der
standardböschung
::::::::da meine kulissenbildung ja nie besonders
originell, wie
::::::::auch immer, mit den füßen im
wasser wurde deutlich:
::::::::In den ersten Versen des Gedichtes "poolbildung"
von Katharina Schultens arbeiten die Worte präzise doppeldeutig. "es
war nicht auszumachen": etwas ließ sich nicht erkennen? Aber am Ende
des Satzes ist von "deutlich" die Rede. Hieß "ausmachen"
also doch eher "ausschalten?", "fortmachen?" Dies aber misslang
wohl - die Füße stehen im Wasser, ein Pool erscheint. Später
wird das Ganze als "heikle Situation" bewertet: unversehens ging der
Boden unter den Füßen verloren, "es begann ein hektisches str-/trampeln
ohne geräusch".
::::::::Allein der Wortsprung zwischen Balance
und Bilanz, ein wenig Erinnerung an wirtschaftliches Gleichgewicht, löst
die Situation wieder auf, als wäre nichts gewesen. Und da war ja vielleicht
auch nichts: "ich hatte genug von analogien, stieg / triefend zurück."
::::::::Krisen finden nicht statt ("heillos
banal). Man trocknet sich und wirft "mit bedacht" das Handtuch auf
den Sand. Das Wasser, die Analogie-Strudel, allerdings sind nicht verschwunden,
eine merkwürdige Prüfung, u.a. auf Formulierungstechniken, beginnt.
::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::&
wie immer, meistens
::::::::in solchen, heiklen situationen gab es
fahrradfahrer
::::::::in konversation den abhang herunter, die
sich überhaupt
::::::::nicht scherten, eine furt vermuteten, wo
keine, nurwiramrand
::::::::Die einen treiben Konversation, beschleunigt
rollen sie wie von selbst den Hang hinab. Ein diffuses Sprechwir hingegen, als
Furt missbraucht, steht/liegt am Ende am Rand des Pools, stumm und gequetscht.
Kurze Panik, dann Scham. Eben noch hatten Standardböschung und Poolbildung
angefangen, ein Kulissenbild zu formen. Doch dann weißt das Bild aus -
als würde es überbelichtet: die Abbildung von Begehren bleibt diffus,
was da ist, wird abgerieben, das Hirn unterzuckert. Einzig die Empfindung von
"heikel" scheint nachzuwirken, während andere mit ihrer Sprache
den Berg heruntertropfen, ohne sich zu "scheren". Sie kümmern
sich nicht, sie beschneiden sich nicht. Konversation funktioniert wie ein Gleitfilm.
Die sprechenden Fahrradfahrer vermuten eine Furt, wo keine ist. Eine Fehlinterpretation
der "Wirklichkeit" also. Doch sie ist günstig. Und hat sie Konsequenzen?
::::::::Das Gedicht hält hier an, staucht
die eigene Bewegung in einem "nurwiramRand". Das Druckbild zeigt eine
Sprache, die sich und das "wir" zusammenquetscht. Wird das "wir"
als Furt gebraucht, also als etwas, auf das man treten kann? Das Gedicht sagt
das, glücklicherweise, nicht. Statt einer dramatischen Geste lässt
es das Bild weiter ausweißen. Als Leser kann man als "wiramrand"
zugleich in diesem Bild sein und es von außen betrachten. Denn da gibt
es jemanden (Standardböschung, Kulissenbildung), der eben noch die Pixel
zusammensetzt. Jemanden, der sie schreibt.
::::::::"poolbildung" handelt von Quetschungen
durch Bild- und Konversationsdruck. Die Gedichtform selbst spiegelt dies: es
ist nicht nur eingebogen, sondern geradezu "indented", eingezahnt.
Ausgehend von der ersten Zeile wandert der rechte Zeilenrand, quetschend, immer
weiter auf den linken zu, um fast in der Mitte des Gedichts umzukehren und wieder
nach außen gezogen zu werden. So wirkt der Text eingeschnitten und gequetscht.
Eben an seiner dünnsten Stelle wird das Handtuch mit Bedacht auf die Windrichtung
in den Sand geworfen, und dieses eine Mal auch ein Motiv für die Handlungen
des Ichs genannt. Der Satz ist zentral, so zentral, dass er zu stottern beginnt
- dass er Ausdehnung fordert:
::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::ich
ich wollte aber zärtlich bleiben...
"... verschwommen schön"
Der polnische Dichter Zbigniew Herbert, Jahrgang 1924, bedauerte am Ende seines
Lebens, einer Generation angehört zu haben, die von Schönheit im Gedicht
wenig wissen wollte. Suspekt ist solche Schönheit weiterhin - im Wort suspekt'
aber steckt ein nochmaliges Schauen, ein Unter-Sehen oder auch Untersuchen.
Schönheit in Versen also, auch heute ist das eine "heikle Situation"
zwischen Standardböschung und Konversation, zwischen Quetschung und Ausdehnung.
Verbunden aufs engste mit unseren Empfindlichkeiten gegenüber Pathos, mit
jenen Grenzen von Peinlichkeit, Scham und Sehnsucht, die unsere Sprech- und
Wahrnehmungsräume gleichermaßen durchziehen.
::::::::"bieder sind wir, doch verschwommen
schön" betitelt André Rudolph eines seiner Gedicht. Dämpfend
flankieren "bieder" und "verschwommen" das mächtige
"schön". In den nachfolgenden Versen regnet es wochenlang, ein
Paar sitzt probe im Stadtpark, für die (schöne) Magnolienblüte.
Sehnsucht und Vorsicht gehen Hand in Hand. Natürlich weiß man um
Tabus. Weiß um die Kunst der schnellen Wechsel, des Understatements, eines
kratzenden Zitierens. Zugleich merkt man vielen Gedichten des Neubuchs
an, dass von Anfang an auf die Schönheit der erzeugten Bilder und ihrer
sprachlichen Fügungen gezielt wurde. Hie und da ist von Seelen die Rede
(Sandig), wenn auch abgefedert durch groteske Konkretionen und/oder das Wissen
um Märchen. Diese rhetorische Figur ist altbewährt: man stellt ein
"Minus" auf - und spricht in seinem Schutz. Eine kluge und nötige
rhetorische Geste: sie probt die Grenzen dessen, was als erträglich gilt.
Sie macht einen Sprechversuch mit uns und dem kulturellen Code, in dessen Wasser
wir "verschwimmen".
::::::::Die Prominenz von Wiederholungen hat einen
Grund. Allmählich glaube ich, ihm auf die Spur zu kommen. Wände, Echos,
Versteckspiele und "Leisigkeit" sind Bewegungsformen - auf der Fläche
der Worte gezogene Schlieren - von Pathosangst und Pathossehnsucht.
::::::::Oder auch Gefühlsangst. Gefühlssehnsucht.
Dass sich hier "oder" sagen lässt, ist bereits Teil dessen, was
mir als Antrieb, als untergründiger Motor manches Gedichtes dieser Anthologie
erscheint. Worte wie "schön", wie "Kulisse", wie "Gesicht"
bringen diese Spannung auf den Punkt. Knotenpunkte am Elektrozaun. Im Medienpark.
An einer Grenze zwischen Mund, Installation, Strom, (Be)Rechnung und Gefühl.
::::::::Zum einen der Versuch, zärtlich und
unauffällig-auffällig zu sein. Wirklichkeiten gleiten, seien sie medial
verarbeitet oder nicht, benannt wird es bleiläufig. "Schnitt gegen
eine Tür" heißt es bei Norbert Lange. Wer Türen in
Wänden nicht öffnen kann oder mag, schneidet hinein. Was es nützt?
Es entsteht ein Spalt. Nimmt man andere Texte aus dieser Raum-an-Raum-Anthologie
hinzu, verwandelt der Schlitze sich in einen Ort, in den sich eine Diskette
nach der anderen Disketten schiebt lässt (Danz, Ovid in Constanta).
::::::::Zum anderen eine Art "Einreißen",
ebenfalls zart. Ein Aufstellen des bereits Eingerissenen. Eingerissen sind manche
Gedichte - zu Prosa. Eingerissen, aber poliert. Zögerlich, aber glänzend
poliert. Kulisse als Sehnsuchtswort. An ihr prallen Laute ab, springen auf uns
zurück. Kulisse' habe nur Sinn, wenn es auch etwas gebe, das Nichtkulisse
ist, wollte ich denken und bekam etwas Drittes gezeigt. Manchmal findet man
einen hilflosen Versuch, "Reales" einzuholen, manchmal einen ausgebufften,
selten einen selbstironischen, meist eine gute Portion poetischer Energie und
Eigenheit. Manchmal meint man, Biographiespuren direkt zu sehen, und fällt
darauf herein, so offensichtlich werden sie - als Abziehbild - als überleuchtete,
fast gelöschte Wirklichkeit - gezeigt.
::::::::Natürlich werden Gedichte nicht "ohne
Leben" geschrieben. Aber wie das eine aus dem anderen entsteht, wie übergeht?
Wie sich Gefühle, die doch schon sprachlich sind, damit (wenn) sie erinnert
werden (können), in Sprache verwandeln, weil es etwas in ihnen gibt - das
darüber hinaus reicht? Und mit welchem Gefühl, welcher Vorsicht und
Akribie, welcher Zärtlichkeit verbunden, verbunden welcher überwundenen
Angst, sie erscheinen?
::::::::"Sie werden staunen" hatte Gomringer
versprochen. Staunen will ich wohl über Sprach- und Ding-, Innen- und Außenwelten,
die sich öffnen. Etwas Besonderes mit der Sprache zu machen ist dabei nur
Teil des Unterfangens. Gemacht wird etwas Bestimmtes mit dem Blick, dem Bilder
Sehen und in sich liegen lassen. Mit der Bereitschaft, sich berühren zu
lassen. Höhe und Tiefe ausloten, Echos hören. Pathetisch sein, gestisch
- und leise.
::::::::Allmähliche Beugungen der Sprache.
::::::::Um, mit Marius Hulpe, probeweise und in
Kleinschrift erinnert zu sein an "die liebevolle, unverschämte größe
des ganzen".
Ulrike Draesner