Entgegnung.
Gerhard Falkners "Hölderlin Reparatur"

"Dichtung ist eine Sprachbarriere" - vor allem dann, wenn sich die poetische Rede zu einem Gegenstand hin- und wider ihn wendet, ohne ihn zu bewältigen, und wenn dieses Nicht-Überwinden lyrisches Sprechen erst ermöglicht.

::::::::In einem Brief an seinen Freund Casimir Ulrich Böhlendorff schreibt Friedrich Hölderlin, dass das Eigene ebenso gelernt sein müsse wie das Fremde. In seinem neuen Gedichtband greift Gerhard Falkner diese poetologische Überzeugung Hölderlins auf, die dessen Dichtung nach den Pindar-Übersetzungen aus dem Griechischen nachhaltig veränderte. Auch bei Falkner wird die Grenze des eigenen Wortes ausgestellt, der Konfrontation mit der anderen Sprache und der "waghalsige[n] Wechselseitigkeit einer Konkurrenz zwischen Erreichbarkeit und Unerreichbarkeit" im Gedicht Raum gegeben.

::::::::Falkners "Hölderlin Reparatur" bewegt sich zwischen den beiden Wörtern dieses Titels - denn obwohl die Gedichte geprägt sind von der Aktualisierung Hölderlinschen Sprechens, entsteht doch zugleich in der Auseinandersetzung mit den fremden Versen individuelle Rede. Diese ‚Reparatur' als poetische restitutio ist damit keine in integrum - keine, die eine ‚Ausbesserung' der entlehnten Verse zum Ziel hätte. Falkners Sprache bewegt sich im Horizont des Unverfügbaren dialogischer Dichtung - sie ist auf dem Weg an den Utopos des Gedichts, auf dem Weg ins Offene, das auch Hölderlins Dichtung so maßgeblich bestimmt: "Wie ließe sich darstellen, wie mit Sprache nichts mehr gesagt werden kann, ohne dass das Gesagte zu wenig Wort und doch noch Wort genug wäre."

::::::::Der erste Zyklus, überschrieben mit "Reparaturtexte", realisiert das im Bandtitel programmatisch genannte Moment ‚wiederherstellender' Lyrik, wenn Falkner das gleichnamige Gedicht mit einem Vers aus Hölderlins "Brod und Wein" eröffnet: "Trunkenheit ists, eigener Art, wenn Himmlische da sind / Aber: Sind (denn) Himmlische da?". War Falkners Langgedicht als Reaktion auf den 11. September bereits eine auf zerstörtem Boden errichtete "Gegensprechstadt", so steht dieses poetologische Vorzeichen hier für einen neuen Horizont. Die Gedichte in "Hölderlin Reparatur" stellen nicht nur den ‚Gegenstand' der Lyrik, sondern formulieren zugleich eine ihm antwortende, ‚widersprechende' Rede. Somit nähert sich Falkner dem Celanschen Gedanken des Dichtung begründenden ‚Gegenworts', das erst durch die Stimme und den Atem des Anderen möglich wird. Die ‚Entgegnung' - die individualisierende Abgrenzung und zugleich die Aufhebung dieser Trennung im poetischen Gespräch - ist die paradoxe Grundfigur dieser Lyrik: "Nicht aus den Gärten und nicht von den Dörfern / komm ich zu euch, weder dem Sohn des Gebirgs, / der allein stehenden Eiche / noch den Söhnen des Berges, nicht aus oder von / den Wiesen, oder wie die Entwürfe alle beginnen […] (Homburger Folioheft, 1. Entwurf)".

::::::::Falkners Dichtung übersteigt damit einfaches Zitieren - nicht zuletzt, weil sie sich immer in der Unsicherheit bewegt, ob das ins Gedicht gerufene Wort für sich allein stehend in neuer Weise sprechend wird. Im zweiten Zyklus ‚Reklamation', der neben Hölderlin auch andere (fremd)sprachliche Kronzeugen in sich versammelt und deren poetisches "Fassungsvermögen" auszuloten versucht, findet mit sich "Tübingen. Julei." wohl die komplexeste Form des lyrischen Dialogs. Reklamiert, d.h. in die Präsenz des Gedichts zurückgefordert und in Widerspruch gestellt, wird hier Celans Gedicht "Tübingen, Jänner", das mit "ein / Rätsel ist Rein- / entsprungenes" selbst ein Wort Hölderlins ‚möwenumschwirrt' in sich trägt. Falkner ist sich dem Wagnis dieser überblendenden Poesie durchaus bewusst, denn "Manches gibt ähnliches wieder, / aber vieles geht in der Verwechslung verloren…" - so bleibt am Ende "nicht einmal mehr der eigene Name".

::::::::Doch auch die Gedichte im dritten Zyklus "Netzwerkumgebungen" gehen offensiv mit dieser permanenten Gefahr des Verlusts um. Sie stellen noch stärker die stilistische Differenz der zeitlich entlegenen und doch ineinander verkeilten Verse aus und kontrastieren so beispielsweise hymnische Dichtung mit Phrasen der Alltagssprache: "Wie wenn am Freitag/ / falls es Wind und Wetter da noch gibt/ / und um das weite Feld zu sichten / um das zu Hause hier die schweren Stürme toben / wir zu den Göttern flögen / um die freien Tage dort zu feiern statt sie hier zu büßen / In Athen herrschen seit Wochen / konstante 42 Grad". Dabei wird für Falkner nicht nur die in den Gedichten genannte Welt fraglich, sondern auch die Sprache selbst: "Woher nehme ich eigentlich das Recht, ein Wort / wie Welt überhaupt in den Mund zu nehmen". Wie im lyrischen Dialog das Fremde vertraut werden kann, so fremd mag einem auch das eigene ‚geäußerte' Wort erscheinen: "Nichts in unserer Sprache / unterschied uns noch / von den Anderssprachigen / Wir verstanden, von dem, was wir sagten / kein Wort".

::::::::Wie wenig sich darin Resignation ausdrückt, zeigt der Zyklus "Nichtverständigungstexte" - die Erfahrung, auch in der Sprache nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein, ist dieser nur angemessen: "Sprache verrichtet sich quasi außer Haus, wenn sie sich zwischen / die Identität stellt." Die ‚poetologischen' Gedichte Falkners, die vereinzelt die formale Grenze zwischen Lyrik und Prosa bewusst verwischen, sind rationale Sätze inszenierende und zugleich unterminierende Reaktionen auf den "Zwischenraum" poetischer Kommunikation: "Mit anderen Worten, es geht darum, dementsprechend zu bleiben. / Es geht um's um, mit dem allein eine Zuspitzung der / Demotiviertheit einhergeht, die Sprache sinnvoll verhindert."

::::::::Das so konturierte Verhältnis von "Rede und / Nicht-Rede" bereitet auf die letzten sieben Gedichte des Bandes vor, welche die radikalste und zugleich innovativste Formentscheidung Falkners in "Hölderlin Reparatur" bedeuten. Bereits zuvor betont Falkner die Unablösbarkeit von Form und Inhalt in seinen Gedichten, indem er Versen metrische Notationen beistellt ("Mehr als drei Kreuzchen") oder explizit tradierte Schemata thematisiert: "Fünf vierzeilige Sommer leuchtete dieses große / hochgeschaukelte Leben, eine sapphische Strophe". Mit den "Material(schlachten)" geht Falkner noch einen Schritt weiter und der zentralen Frage poetischen Sprechens nach: "Warum steht dieses Wort hier und kein anderes / und warum steht es hier und nicht woanders." Falkner orientiert sich dabei an der von Dietrich E. Sattler herausgegebenen Historisch-Kritischen Hölderlin-Ausgabe und den Transkriptionen der Handschriften Hölderlins, bei denen keine Trennung der Worte von ihrem Ort auf dem Blatt mehr möglich ist. In gleicher Weise versucht auch Falkner, über die freie Konstellation der Verse und ihrer Position auf der Druckseite neue Sinnbezüge zu schaffen. So unsinnig es ist, hier nachträglich eine klare Abfolge der Verse und Passagen festlegen zu wollen, so müßig ist die Frage, ob es sich bei den "Material(schlachten)" nur um eine Inszenierung textkritischer Editionen handelt. Entscheidend ist, dass hier keine zitierbare Rede im Sinne eines linearen Textes mehr vorliegt und die Verse in ihrer Wechselbeziehung eine letztlich ‚haltlose' Semantik artikulieren. Falkners Lyrik exponiert damit die Frage, ob es eine Sprache gibt, die nicht mehr von der Dominanz eines Subjekts abhängt, und ob nicht zumindest in der Dichtung eine herrschaftsfreie Kommunikation möglich ist.

::::::::Falkner gelingt es in "Hölderlin Reparatur", den Dialog mit der Sprache in die Sprache selbst zu übertragen und an ihr sichtbar werden zu lassen. Der Band zeigt, was es heißt, am eigenen Wort fremd zu werden und welcher Gewinn daraus erwachsen kann, wenn sich Poesie dazu aktiv ins Verhältnis setzt - denn: "Beseeltes Gegeneinander ist viel anständiger als halbherziges Füreinander".

Gerhard Falkner, Hölderlin Reparatur,
Berlin Verlag: Berlin 2008

 

Martin Endres