Raufbild aus Affe und Stern
Über die Vergabe des Huchel-Preises an Gerhard Falkner
Der Peter-Huchel-Preis für "einen herausragenden Lyrikband des Jahres"
gilt als der vielleicht wichtigste Lyrikpreis in Deutschland. Betrachtet man
die Liste der Preisträger, so ist dieses Renommee zum Teil nachzuvollziehen.
Das Preisgeld hingegen wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse,
die man den besten Lyrikern hierzulande zumutet (es gibt zwar eine Menge anderer
Preise, die sind aber durchweg noch dürftiger dotiert). 10.000 Euro, das
würde nach Rechnung des Berliner Finanzministers auf Hartz-IV-Niveau immerhin
an die drei Jahre zum Leben reichen. Nimmt man hingegen dessen eigenes Lebenshaltungsniveau
als Maßstab, so dürfte sich der Preisträger mit dem Geld gerade
ein paar Wochen über Wasser halten können.
Die Geschichte des Preises war in den letzten Jahren von einigen Kuriositäten geprägt. Da wurde der Preis einmal an einen alten Jugendfreund eines Juroren vergeben, ein andermal erhielt ein Toter die Ehrung, und wie in einer Art Gegenreaktion im Jahr drauf eine Debütantin. All diese Entscheidungen hatten ihr Für und Wider. Unbestritten blieben hingegen die Entscheidungen für Oswald Egger (die wie die Wahl Falkners werkimmanent gesehen etwas spät kommt) oder Ulf Stolterfoht.
Die diesjährige Vergabe an Gerhard Falkner für seinen Band "Die
Hölderlin-Reparatur" wirft wiederum ein paar Fragen auf. Falkners
öffentlicher Laudator und guter Freund, das diesjährige Jurymitglied
Peter Geist, klagt schon seit längerem mit Vehemenz einen großen
Preis für Falkner ein. Der erhielt zwar einige Preise, der Huchelpreis
stand aber sozusagen noch aus.
Als Falkner nach einer längeren Art Auszeit mit dem Band "Endogene
Gedichte" zurückkehrte in den oft von ihm kritisierten Literaturbetrieb,
da bekam der verdienstvolle Oskar Pastior den Huchel-Preis. Das dürfte
Falkners Energien nicht gedämpft haben: Im selben Jahr nämlich machte
er sich mit den jungen Autoren Björn Kuhligk und Jan Wagner daran, ein
"Porträt einer ganzen Generation" zusammenzustellen und als Anthologie
"Lyrik von Jetzt" bei Dumont unterzubringen. Die Folgen und anschließenden
Auseinandersetzungen dürften zumindest unter Lyriklesern bekannt sein.
Falkner mischt sich immer wieder ein und ist einer der Autoren, die zu den jüngeren Autoren regen Kontakt halten. Zuletzt in der bella triste oder aktuell in der Sprache im technischen Zeitalter. Dabei scheut er nicht klare Worte oder Kritik. Seine markigen und pointierten Bemerkungen leben von einem Furor, in dem sich die Empfindsamkeit des (egomanen?) Künstlers mit dem gerechten Zorn auf alles Laue und Halbherzige mischt. Besonders Filz, Mittelmaß und wohlkalkulierte Hypes um Nichts erregen seinen Widerwillen. Kaum ein Dichter unter den Zeitgenossen lebt so aus dem utopischen Ansatz einer anderen Vehemenz, eines anderen Pathos, das zu leben wäre.
Großartig wird diese Haltung, wenn sie, wie in seinem Buch über
die Jagd eines Literaten auf den Bären Bruno, zu selbstironischen Mitteln
greift und die (gesellschaftliche) Aussichtslosigkeit des hohen Anspruchs oder
gar den eigenen Verfall in literarische Zitatverfahren einzubetten und des Autors
Tapsigkeit auszustellen weiß. "Blödigkeit" (Hölderlin)
des Dichters fällt ineins mit dem Bewußtsein, Letzter seiner "eigenen
Art" zu sein.
Die sich aber zuweilen nicht so sehr von der Art der anderen unterscheiden mag.
Wenn Falkner nämlich in der bella triste scheinbar distanziert bezüglich
des Umgangs mit Kritik im Betrieb konstatiert, es sei "wie im Urwald",
ahnt man, dass er weiß, wovon er spricht: Rast nicht bei jedem an ihm
vorbeigereichten Preis sein Gorillaherz, und bebt nicht bei jedem "falschen"
Lob sein "innerer" Dschungelboden bereits?
Davon geben nicht nur seine Statements und Essays Zeugnis, sondern auch die Tatsache, dass er wie wohl kein anderer Dichter in Deutschland um den Huchelpreis gebuhlt hat, während er Invektiven gegen seine Preisträger säte. Zugleich betreibt er die Kanonisierung und Verklärung seines Werks: So befand er vor einiger Zeit, alle innovativen Sprechweisen in der jungen deutschen Lyrik gingen auf ihn zurück. Der erwähnte Peter Geist, sonst auch als Kritiker tätig, gibt ihm dazu die feuilletonistische Rückendeckung. Wenn dessen Lobgesänge ("Jahrhundertpoem") dann aber im Klappentext von Falkners neuem Band zum allgemeinen Tenor der Kritik hochstilisiert werden und es dort weiter heißt, Falkners Buch probiere einen Beziehungsreichtum, wie er "seit Pound vielleicht nicht einmal mehr versucht wurde", schließt das nicht nur genau an jene kalkulierte Verblödung an, die Falkner immerzu geißelt, sondern auch an die von ihm inkriminierte Betriebswurschtelei.
Das macht Falkners ja unterhaltsamen und scharfzüngigen Polemiken, vor
allem, wo sie sich gegen andere Autoren richten, ein wenig zweischneidig: Irgendwie
erinnert er da an einen Autofahrer, der sich rings (Fahrer der eigenen Marke
ausgenommen) von Idioten umgeben wähnt.
Doch er selbst weiß um diese Ambivalenz am besten: "MEINE AUGEN STAUNEN
MANCHMAL/ ÜBER MEINEN MUND/ DER UNTER IHNEN SICH AUFTUT/ WÄHREND SIE
MITANSEHEN MÜSSEN/ WIE ER SPRICHT/ EINFACH IST DAS FÜR DIE AUGEN NICHT."
Und gleicht er in seinem Pendeln zwischen dichterischer Empfindsamkeit, Rauflust
und Größenwahn nicht tatsächlich, wieder Selbstzitat: einem
"Raufbild aus Affe und Stern"? (beide Zitate aus: Zwischen den Zeilen
9)
Schlimmer als Falkners doch leidenschaftliches Berserkertum ist aber das fast
völlige Ausbleiben von Reaktionen. Lediglich von zwei jüngeren Autoren
(André Rudolph, Steffen Popp) gibt es zu dem "Phänomen"
Falkner einige Auslassungen. Mancher mag Besseres zu tun haben, als sich um
eine Polemik zu kümmern, die immer wieder droht, leerzulaufen. Nichtsdestotrotz
spricht Falkner doch in vielen Punkten Dinge von erheblicher Relevanz an.
Wo es ans Eingemachte geht, ziehen es die meisten vor, in ihrem Trott zu verharren.
Wenn schon konkret-gesellschaftlich nichts mehr geht, warum sollte man sich
dann in der Lyrik aufregen? Allgemeine Anämie scheint das hervorstechendste
Merkmal der Zeit. Vielleicht lebt Radikalität ja weiter, aber meist im
Verborgenen oder in der stillen Arbeit. Vielen ist die Vehemenz, die Wut Falkners
fremd.
Falkners gesellschaftliche und literarische Kritik stellt aber für sein
Werk die (Negativ-)Folie dar, von der sich der (poetische)Entwurf abhebt. Dieser
wird getragen von einem Anliegen, das, bei aller komplexen Verweisdichte und
Themenvielfalt, um Wahrhaftigkeit oder Authentizität ringt. Gewisse Widersprüchlichkeiten
innerhalb dieses Komplexes von Dichtung und Wahrheit gehören vermutlich
zwangsläufig dazu.
Falkners Verfahren sind aber nicht immer so neu, wie er es glauben machen möchte.
Man muss gar nicht Pound bemühen. Manche der Mittel muss man fast als gängig
beschreiben (zum Beispiel Hoch- und Alltagssprache aufeinanderprallen zu lassen).
Erst recht, wenn man an Kunst oder Film denkt: Zu dem prämierten Band "Die
Hölderlinreparatur" fallen einem sofort die "Hölderlin-Comics"
des Cineasten Harald Bergmann ein, der auf filmischer Ebene mit ähnlichen
Mitteln an einer Hölderlin-Reparatur gearbeitet hat (abrupte Schnitte,
kontrastierende Lakonie, Zitate, Simulationsverfahren bezüglich der hölderlinschen
Werkausgabe).
Ergänzend zu der bisherigen Rezeption des Bandes (Jurybegründung,
poetenladen, EDIT), sollte man also betonen, dass Kraft und auch
Risiko von Falkners Poesie eher (als im Konzept) in den Bildern und wachen Beobachtungen,
in der ihm eigentümlichen sprachlichen Prägnanz zu finden sind: In
seinem Band entfaltet sich - von fast altmodisch beseelten Zeilen über
Polemik bis hin zur absichtsvoll platten Parodie - auf unterschiedlichen Ebenen
und Niveaus ein lyrisches Denken, das - vom Aussterben bedroht - mit dem Huchelpreis
nun unter Artenschutz gestellt wurde.
Hendrik Jackson