Von Kleintieren, Stoßseufzern und anderen Dichterversen
Der Lyrikband "hard cover" von Nicolai Kobus


Nicolai Kobus, Jahrgang 68, Lyriker, Kritiker und Werbetexter – ist einer jener Dichter, die zwar zu einem gewissen Ansehen (in der Szene) und zu Auszeichnungen gekommen, der Öffentlichkeit aber eher unbekannt gebliebend sind. Im Fall Kobus hat das wohl auch mit einer unglücklichen (Nicht-)Publikationsgeschichte zu tun. Nun ist erstmals nach Jahren ein Band ("hard cover") erschienen und versammelt seine Gedichte.
Wenn man in dem Hardcoverbuch blättert, errät man, was womöglich die Publikation erschwert hat: Nicolaj Kobus zeigt sich, seinen drei Berufen gemäß, ebenso als detaillierter Alltags-Dichter (z.B. im ersten Kapitel "komposita", das recht bezeichnend mit dem Gedicht beginnt: "SELBSTPORTRAIT TAGESNOTIZ"), wie als reimender Texter (so im Kapitel "Kleintiere", das rappende Verse zu Tauben, Lemmingen und anderen Kleingeschöpfen versammelt). Dann wiederum durchsetzen anspruchsvolle Auseinandersetzungen (z.B. mit Ezra Pound, Spinoza u.a.) seine Gedichte. Solche Vielstimmigkeit mag manchen verwirren, zudem ist sie in den seltensten Fällen marktkompatibel. Dafür intelligent.

Kobus beherrscht die verschiedenen Formen spielerisch. Das führt fast zwangsläufig dazu, daß er sich auch dem Pastiche, einer etwas verschmähten und unterschätzten Gattung, annimmt und schon mal ziemlich dreist (aber gelungen) Gottfried-Benn-Verse "Ach es ist ja keine Dichtung/ in welchen Graden der Vernichtung/ man die Dinge sieht" um eigene drei Zeilen ergänzt: "es ist nur die belichtung/ einer silberstaubbeschichtung/ die auf dem papier geschieht."

Je länger man in dem Band liest, desto mehr wird man auch gewahr, daß darin trotz der vielen Anleihen und der verschiedenen Herangehensweisen, trotz der Spannweite von komplexem Pathos bis hin zu lapidarem Humor – eine spezifisch Kobussche Tonspur sichtbar wird – und interessanterweise gerade dort, wo fremde Intonationen eingeflochten sind.

In dem Sonettenkranz "amabilis insania" führt er die reflektierende Seite seiner Dichtung handwerklich beeindruckend vor und integriert dabei anverwandelnd Rilkeschen Tonfall. Das "seufzerkalendarium" "ach anna" aber wird die Leser wohl am meisten einnehmen mit seinem listig-lüsternen Witz, der inspiriert vom berühmten "Anna Blume"-Gedicht ein alltags- und liebesleiddurchtränktes Seufzen intoniert. Hier wirkt Kobus' Fähigkeit, aus Wörtern, Sätzen und Zitatfragmenten in spielerischer Manier Bedeutungen aufploppen zu lassen, vielleicht am überzeugendsten.

Freilich: solche Könnerschaft setzt die Latte höher – und gerade angesichts der gelungenen Verse hätte man vielleicht besser einige leerlaufende Zeilen, Gedichte oder eines der nicht ganz überzeugenden Kapitel (wie "nirgends ein besserer ort") gestrichen. In diesen kleinen Schwankungen erweist sich der Band dann doch als Debutband. Dafür beinhaltet er aber jede Menge raffinierter Formerprobung: äußerst erfindungsreiche Dichtung aus Dichtung, die von Assonanzen und Rhymthmus geleitet ihre Sprache kaleidoskopartig entfaltet: "man fängt nie an macht niemals reinen tisch/ man schleicht sich ein besetzt die zwischenräume" und befindet sich bei Kobus immer im "netz/ der sinne vielverzweigt wie eine spinne/ noch nicht ganz satt und ohne zeitgefühl."

Hendrik Jackson


Nicolai Kobus – hard cover, Gedichte, Ardey-Verlag Köln, 2006