sudden rave im untoten Edeka, einem Bunker gleich, an der Tür
werde ich von einer jungen Frau lächelnd ungläubig gefragt,
ob ich wirklich zu einem rave wolle (ich hatte gerade zuvor mit
der Autorin des Bandes, um den es geht, von der nur den jungen Menschen
so deutlich sich abzeichnenden Demarkationslinie zwischen alt und jung
gesprochen...) und da sitze ich dann oder stehe vielmehr oder vielmehr
gehe und stehe abwechselnd, noch ein wenig verlorener als der vielleicht
syrische Vater (?) hinter der Bar (vielleicht Verwandter des Syrers
(?), der auch hinter der Bar steht und der wiederum vielleicht
dann der ist, der das, nennen wir es, Vorprogramm gab mit der Erzählung
seiner Flucht), viel raviger Nebel und rabenschwarze Spekulation, durch
die ich wie ein Unsichtbarer tapse. und vielleicht wegen der Verlorenheit,
aber eher wegen der Schablonenhaftigkeit, die ich meine herauslesen zu
können aus den Mimiken der Anwesenden (was einerseits eine Kaskade
frecher Unterstellungen bedeutet, andererseits der durchaus gewachsenen
Erfahrung blitzartiger Visionen im Akut angelegter Möglichkeiten
zuzuschlagen ist, Momenteinsichten oder besser: Übersichten aller
wahrscheinlichen und grad noch möglichen Verästelungen, die
einer wie ich dann durchrast und abhakt - und nicht, dass er das dann
als das Gekannte beiseite schöbe, erkennen und kennen tut er weniger
denn je, aber die immergleichen Formen ermüden und halten geradezu
die Dinge und mehr noch die Menschen-Puppen auf Abstand) dass sie
in den Schalen kleben, dass mir schal wird, klar, mit ihrer ganzen Lebendigkeit
und werden bekritzelt vom Leben und der Gesellschaft wie Papier auf Münzen
und gegen ihre ganze Lebendigkeit drücken die immerähnlichen
Muster. wohin ist meine liebende Begeisterung... der Blick für singuläre
Ereignisse... schwarze Schwäne...was für ein Durcheinander ...
ich besinne mich und nehme untote Schwäne zur Hand, die mir
von Katharina Schultens vor einer Stunde ausgehändigt wurden.
gut, dass es zur Hand ist, ich wäre gelangweilt verdorrt in Wortspielen
und müßigem Bramarbasieren, suche mir nun den einzigen Platz
im flackernden Licht und denke: sollen sie doch denken, was sie wollen,
dass da einer liest. welch Glück, direkt dann, auf den ersten Seiten:
dass es mehr rockt, Verzeihung, raved, oder schwavet (= schwarz in mir
auffaltet) als der immer noch etwas zu spärlich besiedelte Edekabunker,
dessen Besucherzulauf durch Abgang kontinuierlich wie bei Gezeiten ausgeglichen
wird.
doch die Zeilen und Verse fügen sich ziemlich gut in die monotonen
Bässe und drüberlaufenden Minimalmelodien, umgekehrt, diese
füllen die Zeilen mit Sinnlichkeit, verlangsamen sie, lassen sie
plötzlich wie lebende Szenen vor Augen stehen. ist es der rave als
Schlüssel im Rücken? schwarze Nacht, Nachttanz. Zombieschwäne:
sind sie hell oder dunkel?
und allerorten, jetzt, wo ich einmal als Gestalt nicht in dem Buch
auftauche (zu meinem Aufatmen, und Jack ist tatsächlich weder der
Jack des kommenden Buches noch Jack's son), sehe ich doch meine
(!)Worte (erst recht, da zum Teil unpubliziert: Panikraum, Zombies, und
von früher: flappen, der Schwan zum Wal) mehr noch, vermeine
sogar Aljoscha Parschtwschikows Verknüpfungsgeist, besser: Erbe zu
erkennen. Schulen etwa? in der Folge? nun, vorgestellt als ein Folgen
in einen Raum (der eine schreitet nur aus einer bestimmten Perspektive
voran, aus anderen (z.b. seitlich horizontal etc) woandershin)
stünde sie in diesem Raum nun neben mir. hello again. multiple Räume.
eine Andere in anderen Räumen. aber in diesem eben gleichauf und
neben Alexej. und drüber ein Schleier aus Trauer und Erhabenheit,
immer mit präziser Nadel, gestochen scharf, wir kommen darauf.
denn dann dies Gedicht: drossel deine unerbittlichkeit. vielleicht
ein Liebesgedicht? aber ok, Benn, Herr Dr: wie immer, so dekretierte er
und das lassen wir mal so stehen, sind die guten Gedichte auch
Aussagen über sich selbst oder Poetiken. hier jedenfalls findet die
psychologisch brisante Überlagerung von Aussagen über den Anderen
und Sprechen zu sich selbst statt: dieser in der unglücklichen Liebe
immer letztlich fernbleibende, satt in sich selbst drehende Geliebte,
wird angeklagt. aber, wie anders, die Anklage dreht sich im Wirbel des
rotierenden Kaleidoskops, und wendet sich schließlich gegen sich
selbst: ein nisten in der eigenen idee oder das scharfe
augen ausstechen mit der eigenen zunge ist immer auch Aussage
über dies schreiben selbst, nicht wahr? die Unerbittlichkeit des
poetischen Sezierens und Aufdröselns und Nichts-ruhen-lassens. andere
lieben einfach oder sind einfach unglücklich, verwindens. hier wird
in Windungen erhitzt und schließlich der Lorbeer gewunden. nicht
geruht, bevor. das Ausstechen. Sterne werden so ausgestochen aus der Nacht.
Sterne, ja-ha! die so oft besungenen. einige Seiten vorher war von Nestern
die Rede, klar: Zwetajewa, Rilke, Nester-Sterne, einsam funkelnd. stechend
funkeln. und kein Nest nirgends mit dem Geliebten. fragst du nicht mehr,
was in meiner Sprache Nest heißt? (Zwetajewa) nein, er fragt,
unerbittlich, ganz sicher nicht. bitten hat noch nie geholfen. behausungen
unter strom ohne licht schon.
( kleine Georgereferenz inklusive Abgrenzung. nicht gemeint, aber ich
sehs) da endet eigentlich das Gedicht und wie soll es auch weitergehen?
aber es geht weiter. es fehlt auch noch was. aber was? und da haut die
Autorin einfach mal mit klingscher Wucht raus: bist drohnengetrieben,
drosselherz. Zack. jetzt kann es nur noch darum gehen, dazu ein
Ende zu finden, diesen Stellungsvorteil (gegenüber anderen Gedichten?
gegenüber dem Geliebten? gegenüber dem eigenen Schmerz?) hinüber
zu retten, es nicht zu verschleifen. das macht sie ganz gut, ohne weitere
Figuren zu nehmen, auch fast zu nachdrücklich, schiebt es durch,
entwischt aber andererseits immer, wenn es drauf ankommt, dem Gegner Banalität
rechtzeitig und mit gekonnten Haken und gibt ihm also keine Chance auf
ein Remis. großer Maulwurf dies, wenn auch ein trauernder.
was ist noch zu sagen. es geht gut weiter, ich unterstreiche, jubiliere,
distinguiere. auch wenn keins so angreift wie dies erwähnte drohnepräzise,
fast tödlich gute Gedicht (es sticht). Szenen stehen, alles zieht
auf Ebene zwei der Metaphorisierung plastisch vorüber. mehr aber
noch, das Rekurrieren auf Erfahrung und Schmerz ist nicht nur Rekurs und
Abbildung, sondern ist Hirn geworden. pulsierendes, durchströmtes.
am nächsten Tag dann wie nach einem Rausch finde ich wenig von all
dem wieder, was mir auch bemerkenswert vorkommt. mein Blick ist allzu
nüchtern. ich sehe die Puzzleteile in ihrer Puzzleteilhaftigkeit,
aber kanns nicht zusammensetzen, lese zu schnell. keine Bilder, kein Leben,
komisch. so trocken, es reibt nur, schabt, kein Funken was aber
an mir liegt. warum auch sollten Gedichte für jeden Tag und jede
Stunde sein? die unansehnlichn Bienen in Kette haben die mandelstamsche
Aufgabe (Schultens zitiert Mandelstams Gedicht "So nimm aus meinen
Händen" in ihrem Zwetajewaaufsatz und ich bin keine bienen
zu Anfang des Bands ist darauf sicherlich eine Referenz), Honig in Sonne
zu verwandeln, erfüllt. nun liegen sie tot auf dem Fensterbrett.
für einen nächsten, für den sie urplötzlich zu summen
beginnen. dem einen beim rave, einer anderen im Wald vielleicht.
Hendrik Jackson
Anm: es geht um "untoter schwan" von Katharina Schultens,
erschienen bei kookbooks, Berlin 2017
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