Schattenspiele
Stefan George auf Stift Neuburg


Wirklich selten habe ich auf so engem Raum, in so schlichtem, fast anekdotischem Gewand so zeitgeschichtlich Erhellendes gefunden wie in der kleinen Schrift von Jürgen Egyptien über „Stefan George auf Stift Neuburg“. Hier zeigt sich, wie wohltuend die Beschränkung auf die knappe Darstellung eines literaturgeschichtlich eher randständigen Themas sein kann. Zumal das Heftchen sehr schön ediert ist und mit Abbildungen versehen. Die Schrift zeigt aber vor allem, wie nahe Poetisches und Abstoßendes in einer Gestalt (George und seine Jünger) sein kann.

Dass aus der Darstellung Egyptiens schnell die schwül-schwülstig-erhabene Atmosphäre des Georgekreises aufsteigt, liegt vor allem an den zitierten Quellen, aber auch den wenigen Strichen, mit denen Egyptien die Hintergründe der denkwürdigen Zusammenkünfte skizziert. Auf Stift Neuburg versammelte der Gastgeber Freiherr von Bernus in den Jahren 1909 und 1910 diverse Male Leute aus dem Umkreis Georges und Stefan George selbst, dem sogar ein Zimmer gewidmet wird im ehemaligen Kloster. Die spirituell und theosophisch angehauchte Versammlung ergeht sich in Debatten, Séancen, Spekulationen, Lektüren und wandelt durch die weitläufige Anlage.
Später gibt man auch „Schattenspiele“, „Gespenster“ werden im Kloster vermutet – das ganze atmet den Geist einer zu Ende gehenden Epoche. So sympathisch die edle Widmung des Lebens der Poetisierung ist, so unsympathisch das Gurugebaren des George („Sie sind noch lang nicht fanatisch genug“). Mehr noch: wer so nahe am Pathos wandelt, ist der Lächerlichkeit manchmal nahe – und der Umschlag von ruhiger Besinnlichkeit und Geistigkeit in affektierten Elitarismus scheint fast zwangsläufig in solcher Gesellschaft.

Doch am Ende holt auch den Hausherrn Bernus, der sich ohnehin zunehmend George entfremdet, da er sich nicht in dessen totale Abhängigkeit begibt, das Tragische heim: sein achtjähriger Sohn stranguliert sich auf dem Anwesen unglücklicherweise und damit, so erklärt es zumindest Egyptien, scheint dem Stift Neuburg alle Beseeltheit genommen, Bernus verkauft nur wenig später wieder an die Benedektiner, die ursprünglichen Eigentümer.

 

Hendrik Jackson

Jürgen Egyptien – Stefan George auf Stift Neuburg, herausgegeben von der Deutschen Schillergesellschaft, Spuren 85, Marbach a.N. 2009