"-//W3C//DTD XHTML 1.0 Transitional//EN" "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-transitional.dtd"> lyrikkritik

Rezensionen

2012 |  2011 |  2010 |  2009 |  2008 |  2007 |  2006 |  2005 |  2004 ||  Autoren
Startseite

aktuell

Miriam Tabea Kraaz // zu „Rede“, Kerstin Preiwuß


Der Gedichtband „Rede“ von Kerstin Preiwuß besteht aus einem Monolog, gerichtet an ein konturloses, unpersönliches Du, das nur noch Platzhalter ist; das Ich probiert verschiedene Ansprachen an das Du aus („bergmann“, „kanarienvogel“, „mondmann“), die temporäre Rollenzuschreibungen darstellen. Die Identität des Du ist somit eine von Mal zu Mal behauptete, aber keine, die ihm von sich aus zukäme.

Dieser Monolog gliedert sich in „Sprachspiele“, die das Ich in diversen Durchgängen betreibt.
Seine Sprachexperimente werden aber nicht aus der reinen Lust am Experimentieren unternommen. Vielmehr liegt existenzphilosophischer Ernst zu Grunde. Die Autorinstanz entwirft ein Ich, das ein 'wahres' Sprechen versucht, ein Sprechen, das sagt, was es bezeichnet, aber in einem vicious circle dazu verdammt ist, sich einem Ausdrücken in codierten Sprachformen zu beugen.
Bildhaft-allegorisierende, philosophisch-argumentierende und performative Sprache wechseln sich scheinbar willkürlich ab. Die vielstimmigen Sprachspiele treten sich in Dissonanz gegenüber. Alltagssprache tritt unvermittelt zwischen den Sprechakten auf („guten tag wie geht’s wie steht’s?) und bricht so ironisch den Ernst der „Rede“.

Doch auch ohne diese Katachresen, welche die Autorinstanz in den Monolog des Ichs einbaut, können die Sprachspiele von ihm nicht beherrscht werden. Ihnen kommt eine Eigendynamik zu, die auf den Höhepunkt getrieben ins Gegenteil kippt.
Im bildhaft-allegorisierenden Sprachspiel zum Beispiel häufen sich Bilder. Aber, so sehr die Metaphern als einzelne Wortfügungen bildgebende Funktion behaupten, so sehr bleiben sie im Zusammenspiel unwirklich und abstrakt: „ein glück? Eine synkope aus licht/ das sich an deinem körper bricht?“
Der Gedankenlyrische Gestus kippt in eine Pseudo-Argumentation, wenn das Ich von sich sagt: „ich kann mich nicht verstehn/ aber was ich sage stimmt.“
Selbst die performative Sprache („hula, baby“) wird plötzlich gebrochen. Das Ich ruft zum Tanz auf („Kali ist da/ Josephine, tanz mit mir“), aber im nächsten Durchgang springt es zu einer Bemerkung über die Unnatürlichkeit der Sprache: „denn die zunge ist als membram ihrer sprache/ nicht mehr angeboren nur noch nachgebaut“. Das heißt: Die angekündigte wirklichkeitsschaffende Performanz wird nicht eingelöst, sondern schlägt um in eine argumentativ eingeleitete („denn“) Reflexion über das Medium. Das in Zweifelziehen des Mediums macht eine Benutzung desselben zu einer „nachgebauten“, also einer schlecht kopierten Operation seiner selbst.

Jedes Sprachspiel endet also in der Brechung seiner selbst. Die Dynamik des Sprachspiels, das auf den Höhepunkt gebracht wird, verkehrt sich in eine Gegendynamik: Aus Metaphern werden abstrakte Beschreibungen, aus Gedankenlyrik ein unvernünftiges Geplapper und aus performativer Sprache wird theoretisches Durchdenken des Sprechaktes.
Der Sprecher leidet unter dem verzweifelten Versuch, diesen Zustand zu überwinden. Er kann einer „wahren“ Sprache aber nicht habhaft werden („jeder name rührt an meiner kehle/ bindet er mich fest zusammen/ dass ich erbreche daran“). Im Gegenteil: Das Benennen als die Benutzung von Worten, die sagen, was sie bezeichnen, also „wahr“ sind, richtet sich gegen den Sprecher und dessen Ausdruck. Sprache muss also ein Medium bleiben, das alle Ebenen in sich trägt und sich nicht innerhalb seiner „Sprachspiele“ reinigen lässt.

Um Preiwuß‘ Konzept einzuordnen, bietet sich der Vergleich mit Hugo Friedrichs Analyse der „Struktur der modernen Lyrik“ an. Außer Friedrich hat kaum ein anderer Autor so pointiert und prominent seine Thesen darüber geäußert, was strukturelle Kennzeichen moderner Lyrik sein können.
Friedrich beschreibt als ein Merkmal einen poetisch ausgedrückten Schmerz eines Ichs, das sich und der Welt gegenüber haltlos geworden ist.
Das passt gut zu Preiwuß‘ Entwurf: Die Äußerungen des Ichs in „Rede“ in einer Sprache, über die es nicht verfügen kann, an ein Du, das keine Identität mehr hat, enthumanisiert das Ich. Preiwuß inszeniert damit ein Phänomen, das sich in Friedrichs Sinne „moderne Wunde“ nennen lässt.

Eine poetische Ausgestaltung von Wittgensteins „Sprachspielen“ als Inszenierung dieser „modernen Wunde“ muss zwar keine neuen philosphischen Schlüsse liefern, sollte aber poetisch nicht bei der puren Neuauflage eines konservierten Gehalts stehen bleiben. Vielmehr sollte es der Autorin dann gelingen, diesen Topos zu transformieren und in ihm den eigenen gestalterischen Willen sichtbar zu machen.
Konsequent und überzeugend entwirft sie zwar ein Ich, das diese „Wunde“ hörbar macht – mehr aber leider auch nicht. Preiwuß scheitert, den gewählten Topos der literarischen Moderne poetisch weiter zu entwickeln, wodurch ihr Entwurf eine Eigenständigkeit behaupten könnte.

// Miriam Tabea Kraaz

Rede, Kerstin Preiwuß, Suhrkamp Verlag

critiquetriebe: Gedicht & Diskussion

Bertram Reinecke: Sleutel voor de hoogduitsche Spraakkunst

Miron Białoszewski: Wir Seesterne

Max Czollek: Druckkammern

Ann Cotten: Das Pferd

Angelika Janz: tEXt bILd

Jinn Pogy: Golems Totems

Tom Schulz: Innere Musik

Christoph Wenzel: weg vom fenster