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Jan Kuhlbrodt // zu „tEXt bILd“, Angelika Janz

Ästhetische Prothetik
Annäherung an die Visuellen Arbeiten von Angelika Janz


Man muss kein Schriftgelehrter sein, um diesem Gedanken Derridas folgen zu können. Die Schrift hat auch sichtbar im gesellschaftlichen Raum (...) an Bedeutung gewonnen. Die Welt ist, könnte man sagen, komplett be- und gezeichnet. Der Sinn flieht, rettet sich in die Sprache durch Schrift, und als Schrift finden wir mehr vor als eine gewisse Anzahl von Buchstaben aus der sich eine endliche Gruppe von Wörtern generieren lässt. Letztlich schnurrt in der Schrift alle Bewegung zusammen, wird zum Punkt wie das Jojo in der Nähe der Hand des Spielers, um sich von da aus erneut zu entwickeln. Im Sichtbaren bleibt es jedoch als Vergangenes, als Spur.

In den siebziger Jahren baute mein Vater Epithesen. Aus einem süßlich riechenden wachsähnlichem Material fertigte er Ohren oder Nasenflügel, die mit einer Brille verbunden beim Träger einen Verlust ausgleichen sollten. Der vorliegende Band arbeitet ähnlich mit Text. Die Crux an dieser wie an jeder Ähnlichkeit ist aber, dass sie den fundamentalen Unterschied beinhaltet.

Der neu gegründete freiraum-Verlag aus Greifswald legt mit tEXt bILd den ersten Band einer auf drei Bände angelegten Ausgabe mit Texten von Angelika Janz vor. Und dieser erste Band enthält Visuelle Arbeiten, Essays zur Arbeitsweise und ein sehr instruktives Vorwort von Michael Gratz, in dem er anhand der Gebilde von Janz einen Begriff des Experiments und des Fragments jenseits akademischer und eben auch antiakademischer Hochnäsigkeit entwickelt. Einen Begriff also, der sich der Janzschen Arbeiten annimmt, ohne auf eine gewisse Verbeugung zu verzichten. Die Literaturtheorie findet hier zu einer dienenden Rolle zurück ohne unterwürfig zu sein. Sie bleibt selbstbewusst.

Aber sie, Janz, und mit ihr die Theorie, arbeitet eben auch auf einer Grenze, denn die ausgewählten visuellen Arbeiten bewegen sich in einem Zwischenreich aus Zeichen und Sinn. „Immer,“ so Janz, „bewahrte der fremdgedruckte Text, der Textkern, etwas für die eigene Sprache Schützendes auf.“

Damit ein bestimmtes Zeichen ein Sinnträger werden kann, und zwar Träger in nicht übertragener Bedeutung gefasst, sondern wörtlich als etwas, das Sinn transportiert, weg vom Ort seiner Produktion, braucht es, das Zeichen, einen eigenen materialen Ausdruck, der wie ein Rucksack den Sinn zwar aufnehmen kann, aber als Gefäß gewissermaßen über ihn hinausweist. Sinn und Zeichen sind nichtidentisch, weil sie nur so zu einer ortsfreien Identität fähig sind. Diese Nichtidentität bedeutet aber auch, dass ein verletztes, verstümmeltes Gefäß einen Sinn weiterhin transportiert, der sich in eine neue Form geschmiegt, zumindest einen neuen Grund ergibt.

Man könnte Janz Verfahren als eine ästhetische Prothetik beschreiben. Sie nimmt vorgefundenen Text zur Grundlage und setzt ihm mit der Schere zu, zerlegt und verstümmelt ihn. Nun aber wird er repariert oder besser ergänzt. Aber eben nicht im Sinne einer herkömmlichen Prothetik, die versucht auf mehr oder weniger einfallsreiche Art einen ursprünglichen Zustand, oder eine dem Unfall vorausgegangene Funktionalität wieder herzustellen, sondern in dem ein neuer Sinnraum geschaffen wird. Dieser rührt zwar von der Vorlage her, weil diese aber eben nicht rekonstruiert wird, entspinnt er sich in Freiheit.

Das Ergebnis sind Textgebilde die auf beiden Ebenen wirken, der visuellen und der semantischen. Ein verblüffendes Ergebnis, das das Bildhafte des Textes, und zwar über das konkrete Gebide hinaus, in den Blick und ins Bewusstsein treten lässt.

// Jan Kuhlbrodt

Angelika Janz, tEXt bILd – Ausgewählte Werke 1: Visuelle Arbeiten und Essays, freiraum-Verlag, Greifswald.

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