Dynamik dröhnt ins Laub
Franz Josef Czernins kontroverse Gedichte


Franz Josef Czernin war immer schon für eine Debatte gut. Ob er in einem Essay über Durs Grünbeins Gedichtband „Falten und Fallen“ herfiel oder buchlang mit Marcel Reich-Ranicki ins Gericht ging: Seine Polemik war immer scharf und nicht selten treffend. Dann aber traf es ihn selbst: 2002 erschien sein Gedichtband „elemente, sonette“ und entfachte - zumindest im überschaubaren Kreis Lyrikinteressierter - einen veritablen Streit.
Auslöser war eine Rezension Leopold Federmairs in der Neuen Zürcher Zeitung. Der österreichische Essayist hatte sich offenkundig tief in Czernins Werk versenkt, konnte dabei aber nichts Erfreuliches zu Tage fördern. Er sah in Czernins Sonetten lediglich Wortspiele, die nirgendwohin führten, ein bloßes „Aufstülpen von Formprinzipien“ auf das im Grunde beliebige Wortmaterial. Die Gedichte klappern, so Federmair, „in ein und derselben Gangart dahin“. Was bleibt, sei der „Eindruck des Maschinellen“.

Das Erstaunen war groß, denn eigentlich hatte man unter Avantgardisten Federmair für einen der ihren gehalten. Überhaupt schien es ein ästhetischer faux pas, die gerade zu neuen Ehren gekommene österreichische Tradition der Sprachkritik und des Sprachexperiments, zu kritisieren. Und dann war es auch noch Martin Mosebach, niemand also, der im Verdacht stand, der Revolution das Wort zu reden, der die schärfste Erwiderung auf Federmair verfasste.
Nachzulesen ist sie nun als Nachwort in „staub. gefässe“, einem Auswahlband aus Czernins lyrischem Oeuvre (auch wenn der Untertitel irritierend „Gesammelte“ Gedichte verspricht). Mosebach macht darin klar, dass es sich bei Czernin nicht um einen Avantgardisten, sondern um einen Anti-Postmodernisten handelt, jemanden, der nicht in die Ironie-Falle getreten ist, ja der sich überhaupt auf einen anderen Traditionsstrang als den protestantischen, und das heißt ja für die deutsche Literatur auch: säkularen bezieht.

Der Befürworter der lateinischen Liturgie, Mosebach, sieht nun in Czernin zwar nicht unbedingt einen katholischen Dichter, aber doch einen, der versucht, den hohen Ton wieder in die Lyrik einzuführen, dem Erhabenen eine neue Form zu geben. Als wichtiges Indiz macht Mosebach dabei ein Prinzip der Zweistimmigkeit aus: in Czernins Lyrik würden Bild und im Bild ausgedrückter Gedanke immer gleichzeitig aufscheinen. Insofern herrsche eine Art umgekehrtes Bilderverbot, das Verbot bilderloser Abstraktion nämlich. Bestimmt seien Czernins Gedichte allerdings auch, so Mosebach, durch einen „geradezu exzessiven Gebrauch von Vieldeutigkeit“.
Da fragt man sich zwar, wie diese Vieldeutigkeit mit der Einheit von Bild und Gedanke zusammengeht, zweifellos jedoch herrscht in Czernins Gedichten „ein Stauchen, Dehnen und Ballen und wieder Lösen, eine“ –und dies zumindest verkennt Federmair – „manchmal formensprengende Dynamik vor“.

Wer selbst herausfinden möchte, ob Czernins Werk nun vor allem aus „Schulmeisterlichem“ besteht, wie Federmair meint, oder ob es sich bei den Gedichten, mit Mosebach behauptet, um etwas ganz „Außerordentliches“ handelt, der kann in „staub. gefässe“ neben der Auswahl aus bereits veröffentlichten auch einige neue Gedichte Czernins zu Rate ziehen: „zwischen bögen, über felder,/ macht der ton die türen auf,/ lacht die not die tiere drauf,/ wie sie zögen in die wälder,/ was wir biegen unter fehlern,/ stöhnt, in rot, durch die tore her,/ dröhnt ins laub das blau so schwer,/ wie wir liegen unter tälern,“ – Ratlos zurückbleiben ist dabei durchaus auch erlaubt.


Tobias Lehmkuhl

Franz Josef Czernin: staub. gefässe. München 2008 / Kritik aus der SZ vom 30.1.2009