üblicherweise ist es so: eine Rezension läuft kurz den Parcours
der Beschreibung ab, um von einigen aufgelesenen Indizien ausgehend den
Pfad der Abstraktion hinaufzuklimmen und dann, wie es so schön heißt:
von oben herab einige Wertungen auf den meist freundlich gestimmten Leser
und die leserin niederrieseln zu lassen.
wie schön es wäre, wenn das Poetische dem Poetischen gewogen
wäre ohne nur abzuwägen, ging mir just wieder durch den Kopf,
als ich auf eine Leseerfahrung Ron Winklers stieß, die er aus Anlass
von Steffen Popps Gedichtband Dickicht
mit Reden und Augen verfasst hatte, ein wenig launisch, sprachverliebt
und versonnen.
Dass sich so ene poetisches Interludium zwschen Lektüre und Kritik
noch steigern lässt, beweist Kai Pohl in dem 2016 bei gutleut erschienen
Band penfields traum, dessen Titel überhaupt auf ein Pastiche
auf Florian Voß* verweist. er formuliert darin ein pasticheartiges
kritisches Gedicht nicht auf Ron Winkler oder Steffen Popp, sondern gleich
auf die poetischeReflexion Winklers zu Popp. und das soll hier nicht vorenthalten
werden:
Eros mit Schere
Ich lag im Gras, den schalen Plot in Händen,
und neben der Begehrten argt es mir:
Was macht es, daß sich wer
nach einer Schwerthülse verzehrt?
Wer brächte sich nicht gern von einer Reise
ein antiquiertes Souvenir herbei,
wer möchte sich nicht selber gerne schlingen
um heiße flirrende Kisten,
in makellosen Klamotten, der-
weil einem die Sonne aus dem Arsch scheint.
Kaffee wird geboten, dazu ein Wasser aus der langen Leitung
aber das ist kein Kaffee, das ist ein Fake,
gefühltes Gleiten im Selbst.
Zuweilen hilft es, die Verklärung
auf einen limbischen Nenner zu bringen,
anstatt in internetter Laune
Manierismen zu parieren,
auf todsicher gefälschten Papieren
mit dem Nimbusschlüssel zu fuchteln.
Umnachtung mischt sich mit Salbungstendenz,
und eine Drastik, die mit Fledermäusen fickt,
schießt den rhetorischen Vogel ab.
Kai Pohl aus: Penfiels Traum, gutleut 2016
zuletzt hatte auch Monika Rinck ein traumartiges Lektüreprotokoll
zu sein
gelassen verfasst, das ebenfalls andere Wege der Kritik geht:
tastend, assoziativ, und doch präzis im Aufspüren der Wirkungsverzweigungen.
und ich denke, solche Arten von Kritik können die durchaus ja berechtigten
Lagepläne und Sondierungen/Sortierungen eines Michael Braun (um das
prominenteste Beispiel zu nennen) hervorragend ergänzen. wir könnten
so ein induktives dem deduktiven Lesen gegenüberstellen und das flankieren
mit einigen nachahmenden und abschweifenden Versuchen des Verstehens und
Abdriftens. und erst alle zusammen lassen Subjektives und Objektives,
Vogelschau und Ameisenimpressionen, Staunblasen und Schärfegrade
zu ihrem Recht kommen.
Hendrik Jackson
* Penfields Traum
Pflanzt mir die große schattenschwere Welt
direkt in meinen Mandelkern, mein geisterhaftes,
nicht kartiertes Klappern, Klicken, auf daß mein
Schaf, meine Schwalbe jauchzt, daß aufglüht
mein verwirrter Kopf. Elektrisch ist des Gottes
Kern, elektrisch bin ich müd gemacht. Glückselig
schwärt der Himmel über all dem Blech, und
Bomben liegen schwer auf Lichtreklamen. Mich
wiegt der Schlaf so schwer in kühles Kreisen,
bis daß ein Meer aus Blei den Morgen blickt;
wild, die Androidenschar, schaut blöde durch die
Luken. Und in den Gassen tanzt Vernichtung,
und schaukelt auf dem Markt ein dürres Wesen,
kickt übers Dach des Atlas hurtig ihre Flügelwinde
ins Photonenfleisch der Welt. Und Angstmaschinen
killen stille Diener, durch deren Schaltkreise
das Grauen schießt.
Kai Pohl
Diese Parodie, entstanden nach dem Gedicht sehet,
ein mensch von Florian Voß läßt sich dem Genre
der müden Pseudomystik zuordnen: Seit etwa zwanzig Jahren
beherrscht müde pseudo-mystische Lyrik à la Hilde Domin und
harmlose Witzeldichterei in der Nachfolge von Robert Gernhardt das Geschehen,
häufig auch beides zu einem amalgamiert wie bei Durs Grünbein
nachzulesen in einer Rezension von Samuel Meister zum Jahrbuch
der Lyrik 2013, veröffentlicht unter larmoyanz.blogspot.de am
1. September 2013
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