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Denken
Denken ist das stille Wohnen,
ist der stillste Dank.
Denken ist das scheue Schonen
ist der kühlste Trank.
Auf dem Weg, da sanft verglühen
Lichter ohne Zahl
Rosen gleich, die nie verblühen,
grüßend Strom und Tal.
Denken ist das kühne Freyen,
weiseloser Ruf
daß, die sterblich, seyend seyen:
Heilem der Behuf.
Elfride zum 23. Januar 1946
M.
Denken als Führerprinzip
An Kleist zurückgedacht, der seiner Verlobten in Briefen Ethik-
und Epistemologievorträge hielt, erscheint bei Heidegger der lichte
und leichtere, nicht ganz so schwerfällig-didaktische Ansatz durch,
etwas ähnliches in Gedichtform zu versuchen. Für Elfride,
seine Frau, geborene Petri, die (wie er ja selbst) in der Nachwelt mit
Antisemitismusvorwürfen zu kämpfen hat. Kleist war Mitte zwanzig,
Heidegger Jahrgang Hitler, der sich nach seinem Selbstmord fast auf den
Tag genau ein Jahr vor der Entstehung dieses Gedichts im Hof der Neuen
Reichskanzlei einäschern ließ. Das stille Wohnen wiederum
korrespondiert womöglich mit Rilkes leisem Leben, gefunden bei Émile
Verhaeren: Rückzug, Verkapselung, Kontemplation.
Die Welt ist vielleicht wirklich etwas, das unselig fremd unsere Köpfe
umrauscht und umgeistert, um uns am Ende im Wortsinn entgeistert zurückzulassen.
Eingekapselt lebt es sich wahrscheinlich besser, in der Stille höre
man Gott, meint Jon Fosse in einem Interview mit der WELT vom 7. Juni
2016. Die stille Wohnung, hinter der sich das Grün dehnt in die Nacht
hinein oder die nächste Partyscheune, Landlust in beigen Hosen, in
den Schatten der im Schatten der Linden geparkten SUVs. Aber es soll doch
ein auf ein existentielles Minimum zusammengezogener Punkt sein, von dem
aus gedacht wird, der aus sich abstrahlt und Licht wirft bis in die letzten
Winkel der Selbstversenkung, wo dann womöglich Gott auf uns wartet.
Wer weiß das schon so genau.
Wenn man bedenkt, wie sich Heideggers Prosa in die Sprache hineinstülpt,
hineinkracht und in der Sprache heideggersch heftig ausagiert regnet
es im Film Magnolia Frösche, tun es im Heideggertext Heideggereigenkreationen
mit einer Wucht, die einiges unter sich begräbt nehmen sich
diese Verse geradezu schülerhaft simpel aus. Es ist als wolle er
Elfride etwas zueignen, das zweizeilig einherplätschert
wie ein süddeutscher Bach. In aller Lieblichkeit gilt der stillste
Dank möglicherweise dem, was einem im stillen Zuhaus an Erkenntnis
so über den Weg läuft. Ein schwerwiegender, abstrakter Begriff
wie Denken für ein Gedicht (das in meinen Augen Konkretion
anstreben sollte statt Philosopheme zu wälzen), ist dann allerdings
schon wieder großartig, vor allem, wenn man berücksichtigt,
dass es auch als privates Liebesgeraune durchgehen kann.
Was den Dank betrifft scheint mir, als müsse man davor, dass Erkenntnis
etwas von sich herzugeben & abzuschenken bereit ist, dass es Erkenntnis
überhaupt geben kann, auf die Knie gehen. Man könnte ja auch
ein Leben lang in selbstgewählter Erkenntnislosigkeit verharren,
quasi im Gegenteil von Denken, und etwas betreiben, das nichts bringt.
Was aber könnte das sein: das Gegenteil von Denken? Sicherlich etwas,
dessen das menschliche Hirn überhaupt nicht fähig wäre.
Denken als Knobeln, immerhin das.
Lichter ohne Zahl. Denn wenn es gar nicht möglich wäre,
dass Denken etwas bringt, Licht ins Dunkel nämlich, Begriffsaufklärung
etc., dann wäre Denken nicht das, als was es immer schon angesehen
wurde: eine Tätigkeit, die bei voller Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten
in Sphären vorstößt, die auf alles und jedes ein neues
Licht zu werfen imstande ist, weil es neue Erklärungen findet für
alte Phänomene und/oder Verbindungen herstellt, die es vorher nicht
gab.
Braucht es da die kleinen Naturmetaphern? Diese Gemütlichkeit? Eine
Art Privatgedicht, sicher, möglicherweise eine Beigabe in einem Brief
oder ein nettes und nettgesticktes, Elfrides Schönheitssinn
einkalkulierendes Mach- und Nebenwerk. Aber wenn man schon Hölderlin
im Köcher zu haben glaubt tut Heidegger das? Es liegt irgendwie
nahe oder irgendeine andere süddeutsch-platonisierende Tradition,
dann fragt man sich, wo die komplizierten, eher an Elegie als an Blankvers
geschulten Versmaße bleiben, die Metaphern, die Gott im pantheistisch-sturmgepeitschten
Ganzen erkennen, und den Menschen damit aus theologischer Sicht
im großen Weder-Noch verorten, in dem er sich allein zurechtfinden
muss (s. Existentialismus).
Das kühne Freyen ist doch ästhetisches Mittelalter! Was
besagt das? Ich muss im Wörterbuch nachschlagen. Zur Braut nehmen.
Werben. Den Hof machen. Buhlen. Nachstellen. Herumscharwenzeln. Um die
Hand anhalten. Also: Um Erlaubnis fragen. Denken stellt sich selbst infrage,
hinterfragt sich, gräbt sich das Wasser ab, sägt am Ast, auf
dem es sitzt, um weiterzukommen, von den falschen Voraussetzungen zu den
zutreffenden. Oder fragt Denken höhere Instanzen um deren Einwilligung
(s. Delphi)? Und: Weiselos im Sinne von gesprochen, nicht
gesungen? Streng? Nachdrücklich? Jedenfalls ruft's, und der
Zweck des Ganzen ist das Heil, HEIL STROM&TAL unreflektierter
kann eine Gedichtsprache kaum sein, ein knappes Jahr nach der bedingungslosen
Kapitulation. Führung und Weisung hin zu einem Seyendsein
im Einverständnis mit einer letztlich ominös bleibenden Instanz.
Am Mittwoch, den 23. Januar 1946 hatte übrigens die von alliierten
Kameraleuten gedrehte Dokumentation Die Todesmühlen über
die deutschen KZ's in den US-Besatzungszonen Premiere, wie ich chroniknet.de
entnehme. Außerdem sind bei einem Bergwerksunglück auf der
Schachtanlage Reichswerk in Peine bei Hannover 46 Bergleute
ums Leben gekommen. Ein defekter Förderkorb war mehrere hundert Meter
in die Tiefe gestürzt und hatte dort arbeitende Bergleute erschlagen.
Marcus Roloff
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