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Ich scrolle in der Timeline, die Welt erscheint fortgeblasen, in eine
einzige luftleere Blase verwandelt. Was ich damit mache, will ich wissen,
ich frage mich, ob ich noch einen Funken Durchblick im Leib habe. Mir
kommt es nicht so vor. Nur krude Befürchtungen, Vermutungen, Fragen.
Nur Krudes. Alles vermummt, sich selbst nicht ähnlich. Nichts passt
übereinander, keine meiner Schablonen. Und doch stehe ich auf, gieße
Milch in den Kaffee, höre stundenlang Me Succeeds - Guess Or
Get The Fuck (Lohaupt Remix) und achte auf die Echos der Artikel,
die ich lese, mitansehe, noch einmal lese. Ob sie in mir etwas auslösen.
Ob sie mich aufrütteln. Ob sie mich wach machen.
Ich, der nackt und bloß vor seinem Alltag steht, bin ein Füllhorn,
das gefüllt werden will. Da ist nichts außer einer schwachen
Erinnerung an eine Zeit, in der es unnötig war, sich um etwas wie
Verstehen zu kümmern. Das Verstehen stand im Hintergrund rum wie
ein gelangweilter Partygast. Im Vordergrund stand das Plätschern
von Stunde zu Stunde, also das einfache entschlusslose Treiben in Gedanken.
Aber das ist vorbei, Gedanken helfen nicht mehr. Was jetzt im Vordergrund
steht, sind Leute, die ich treffe und die mir erzählen, dass sei
doch so und so. Die geben Antworten, die so eine ulkige Logik aufweisen.
Wenn Merkel so und so entscheide, würde Dies und Das die Folge sein.
Klar, denke ich, falsch ist das nicht. Aber es ist auch nicht richtig.
Es ist so ein Weder-Noch-Gerede, das keinem weiterhilft, nur dem Weitermachen
zum Weitermachen verhilft. Um Weitermachen geht es uns, den Leuten und
mir, immer weitermachen mit seinem Krempel, Weihnachtsgeschenke, neuer
Hund, altes Auto, rattenverkackte Schuhe, blassblaue Eheringe und so weiter.
Tagelang das herrlich nach Medusa aussehende, allerdings selber versteinerte
Gesicht von Melanija Knavs, die Frau an der Seite, das hellblaue Kostüm,
wie mit Alcantara bezogene Lippen, Anwaltsserien bei Amazon Prime, Anschlagsserien
in Europa, Nahost, hier und da, Nahtoderfahrungen des Mittelstands, die
Brexit-May, die Würmer von der AfD, der verbeamtete Provinzgesamtschullehrer
für Geschichte und Sport, dessen urdeutsches Dackelgesicht, einer
der glaubt, dass es jetzt an der Zeit sei, anzutreten mit seinem Arschlochweltbild,
diese Befürchtung beim nächsten Schluck Kaffee, dass sie es
sein werden, die plötzlich (plötzlich?) die Macht haben und
alles wegsperren, das in ihr Kleinbürgerviereck nicht passt, Mailand
am Morgen des dreiundzwanzigsten, Berlin am Abend des neunzehnten, als
ich beim Pils saß und mich mit Susi traf, einer alten Freundin,
die aus einer kurzzeitigen lesbischen Episode hervorging als zweifache
Mutter an der Seite eines sich mehr mit Arbeitslosigkeit als Arbeit herumschlagenden
Energiesparlampenfachmanns, als im News-Ticker bei Spiegelonline die News
hochflappten.
Marcus Roloff
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