Vor der Kunst, nach der Erfahrung
Bevor die Gedichte zum Projekt „dauerlandschaft“ entstanden, diese eine Reihe von Jahren überdauernde, so genannte zündende Idee, stand nur der Titel fest. Er riss alles, was folgte, an sich, stellte es unter sein Dach. Das Titelgedicht schwamm in Bildern, setzte selbst aber keine neuen in die Welt, zumindest keine, die nichts mit den nach und nach aus dem Hintergrund hervortretenden Landschafts- und Kartenmodulen von Michael Wagener zu tun hatten. Der Ton, der da herandämmerte, war von einer Art minimalistischen Üppigkeit, reine trockene Rede, die sich durch Kartenmaterial und die Sinuskurven der Dinge schlägt. Es sollten am Ende Gedichte sein, die sich zugleich an der Abbildung von Welt wie der von Kunst abarbeiten.

Welt und Kunst im Gedicht. Das Betrachtete aushöhlen, wie es später heißen sollte. (Das, was ich sehe, ist was ich sehe und zugleich das, was ich nicht sehe.) Der in Wageners ‚dauerräumen‘ Konzept gewordene Raum, der durch und durch künstliche Raum ist einer, in dem das Gedicht sich gern aufhält, denn es ist ziemlich vogelfrei darin, das heißt auch ziemlich vage und unwirklich darin. Oder daran bzw. davor, denn es ist die zweidimensionale Idee von Raum, der abstrahierte Raum, als Tapete.

Der tapezierte Raum, der dann wirkliche (Kunst-)Raum.

Angesichts dessen bleibt dem Gedicht nur die Erfahrung, und zwar die selbermachende. In meinem Fall ging sie zurück auf Ufer, Flüsse, Wälder, Pegelstände, Kahnfahrten, Mecklenburger Sommer oder schwedische Ferien. Vor der Kunst (stehen) ist nach der Erfahrung (schreiben). Grundsätzlich ergab sich so etwas wie die Idee von Navigation, von der Schneise, die wir uns durch die Welt schlagen und immer nur für Augenblicke irgendetwas zu Gesicht bekommen, eine Gestalt, eine Form, die uns weiterbringt.

Und das ist es: Das Gedicht fand Formen, die es weiterbrachten. Hinzu kam der Einblick in die Prozesse des Werdens der Bilder, ihrer Spiegelungen, Dehnungen, Verzerrungen, der Verfahren, sie herzustellen. Bilder vorderhand als Material, nicht als Träger von Bedeutung. Schnittkanten und Neuverklebungen, Neuvermessungen, Vermessungen hinein in etwas wie einen Gegenatlas. Hier (wo immer das sei) kann das Gedicht ansetzen. Versuch der konsequenten Draufsicht. Es gibt diese Oberflächen, die von nichts erzählen als sich selber. Erzählung im Gedicht. Und zurück in die Fachsprachen (siehe „neuer atlas“, erschienen 2002): der Landvermesser, der Seile spannt und den Schlamm kartografiert, der aus den Ufern getretene Nil, die Nilauen, dreitausend Jahre früher, Beginn der Ordnung auf dem Papier, Gründung des Katasteramtes. Etc.

Spätestens hier rückten meine Erfahrungen in ein neues Licht, zerflossen wie Wasser in Tinte, liefen zusammen und mündeten in diesem Gedichtzyklus, der jetzt, eine kurze Dauer später, kurz vor seinem Erscheinen steht.

Marcus Roloff