Wie gut
Wie gut, daß ich verborgen bin
und niemals wieder sichtbar werde.
Mein Kern im Widerspruch zur Erde
begab sich selbst zum Monde hin,
jetzt kannst du ruhig schlafen.
Der Ort, wo wir uns trafen,
war niemals wirklich in der Zeit.
Verzeih mir dies aus Einsamkeit
herausgeschälte Wissen.
Vielleicht fühlt sich dein Kissen
trotzdem auch manchmal tauig an,
vielleicht verkündet dir der Hahn
vom Hühnerbaum her oft zu grell,
dass jetzt der Morgen wieder hell
und gläsern über Deinem Dach
heraufsteigt, während du ganz schwach
und übernächtig bist?
Ich bin es nicht, die dich dann quält,
ich bin die Magd, die Äpfel schält
im Mond und keinen ißt.
aus: Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte, Wallstein Verlag,
Göttingen 2014
Sie wollte nicht mehr rilkisch sein, und doch quält die Autorin dieses
verstörend-schönen Gedichts die Frage nach Tiefe und Intensität
des Ich-Seins durch die Zeilen. Bei Rainer Maria Rilke war es gnadenlose
Selbstbefragung, die sich zunehmend auf das mystisch verwobene Gefüge
von Ding und Welt im Zeichen eines großartigen Hierseins
erstreckte. Das Ich steht dabei allerdings auch schutz- und wehrlos etwas
grundsätzlich Mächtigerem gegenüber. Ob Natur und Landschaft
oder Kunst und Geschichte: Das Ich und sein Bewusstsein von sich ist angesichts
dessen ununterbrochen zum Verschwinden hin unterwegs.
Hier, in einer Art erneuertem Tagelied der Hahn kräht, der
Tag bricht an, bis zum Äußersten vereinsamt, knietief im Verschwinden
glimmt im Gegenüber nur noch schwach die Möglichkeit
des Dialogs nach. Die Vokabel Du wirkt reflexhaft, die Anrede wie ein
an sich selbst gerichtetes Sprechen mit nachlassender Kraft. Ob sie mit
einem menschlichen Liebesgegenüber identifiziert werden kann, für
das ich, der Leser, so gern optieren würde, ist durchaus die Frage.
Dieses unbekannte, selber verborgene Gegenüber kann schier nur Rätsel
sein, wie man selbst. Oder ist Gott gemeint? Und wenn ja, was spielt er
für eine Rolle? Wäre Gott nicht auch nur ein weiteres Wort für
unendliche, grundlose Gleichgültigkeit von Anbeginn? Ist Gott nicht
der Inbegriff eines Missverhältnisses vom Ich als einzig verlässlicher
Quelle alles Menschenmöglichen und jenem als sterblichem Kern, der
uns endgültig genommen werden wird? Ob die Mondverortung einen entscheidenden
Hinweis auf Klärung und Perspektive bietet, steht durchaus dahin.
Es sind schöne Fragen, die Christine Lavant stellt, und es sind schöne
klare Bilder der Nacht. Sicher scheint, dass mich diese Zeilen umlauern,
umstellt haben wie ein Rudel Wölfe, oder etwas, das mit dem Finger
auf mich und meine Existenz zeigt und fragt, wo ich gewesen bin, als die
Einsamkeit sich herauszuschälen begann aus dem Leben und anfing,
mich unmerklich einzuschalen. Denn was sind das für Zeilen? Eines
sind sie gewiss: unendlicher Wohllaut, wie Georg Trakl es einmal ausdrückte.
Und Schönheit wie Klarheit der Bilder kommen nicht nur durch das
regelmäßige Reimschema (umarmend an Anfang und Ende, in Paaren
dazwischen) und die jambische Grundstruktur zustande, sondern auch durch
die übernächtige Szenerie selbst. Übernächtig
diese Vokabel kann in verschiedene Richtungen strömen: sie kann die
wie ein Zelt über alle und alles gezurrte Nacht sein; sie kann auf
das kosmische Dunkel verweisen, auf das vom Mond bröckelnde Licht;
und sie kann den ausgehöhlten, so genannten übernächtigten
Blick eines Menschen bezeichnen, der tagelang nicht geschlafen hat.
Hinzu kommt der katholisch grundierte Gedanke, in dem Gott als großes
paradoxales Zugleich aufgehoben erscheint und welcher das, was wir Zeit
nennen, als etwas zwischen zwei Ewigkeiten Geschobenes betrachtet, und
das heißt sub specie aeternitatis zu Vernachlässigendes. Angesichts
einer Ewigkeit, die quasi nur Pause macht, um dem im Widerspruch
zur Erde stehenden Menschen Raum zu geben, ist Zeit nichts als ein
trudelndes Maßband, haltlos flatternd in All und Nacht. Hoch darüber
erscheint Luna/Selene als eine Figuration, die sich selbst nirgends festhalten
kann. Zurückgespiegelt aufs Subjekt steht diese Konstellation als
eine das Ich negierende, mondferne Abwesenheit parat, die den Liebesschmerz
grundsätzlich neutralisiert wenn das geht.
Marcus Roloff
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