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Was kann Musik, das alles Andere nicht kann? Irgendetwas ist anders und
besser, weil direkt und von nichts unterbrochen an diesem Metier. Musik,
so merkwürdig verbindlich, kann ganze Jugenden retten oder wie eine
mit Elternplunder vollgestellte Karotischdecke vom Tisch fegen. Alles
verschwimmt, gerät ineinander, hält die Essenzen bereit und
gleich rein ins Perzeptive, in das was aufnimmt, die Sinne, die Aufnahmetrompeten,
dies aufgerissene Ohr, das nichts anderes kann als voll sein von dem,
was da kommt. Und es kommt was, ununterbrochen Klang, Strom, Strömung,
Einfahrt in Tunnel, ins Neue (Neu!, der einzig sinnvolle Bandname), ins
Unbekannte und Nie-Dagewesene. Alles ist neu und unbekannt und absolut
nie-dagewesen und -gehört und das in jeder Sekunde, in alle
Ewigkeit. Dass alles schon mal dagewesen sein soll, ist nichts als ein
ärgerliches Missverständnis, man glaubt schon fast selbst dran,
in alle Richtungen verlängertes, hohl und unwahrscheinlich klingendes
Machtwort von Leuten, die allesamt mein Vater sein könnten.
Das Surren von Fliegen über der Biotonne: avantgardistische Tonspur.
Das Rauschen des Bluts im Ohr: Anfang jeder Klangkunst. Erst größtmögliche
Stille, der Raum, in dem die Dinge klingen und nachklingen können,
gibt dem Ganzen jene Art von Verpuppungs-, Verwandlungsqualität,
die uns so irisiert. Und die geht direkt gegen das Sterben, gegen die
Null. Dass etwas ist, und nicht vielmehr nichts, ist der schönste
Positivismus, den es gibt. Alles schlägt permanent aus, befindet
sich durchgehend im Plus statt auf Null. Und genau genommen flackert's
ja auch bei Stille im Plusbereich. Denn Stille, was immer das sei, gibt
es ja gar nicht, nur Surren, Sirren, Blubbern, Rauschen, Brummen, Knistern
(etc.) auf mehr oder weniger (un-)hörbarer Frequenz. Von den Tönen,
die der Mond oder andere Brocken vom All her verursachen mögen, wissen
wir wenig, von Delfinen und Walen etwas mehr, deren Gesang wie ein Rufen
aus Räumen ist, von denen unklar bleibt, ob sie uns abgrundtief ängstigen
oder trösten.
Mittlerweile wissen wir zum Beispiel auch, dass wir Christian Löfflers
Musik haben. Seit seinem Debütalbum 2012 hat sich herumgesprochen,
dass es hier nicht nur um hippe Electronica geht, sondern um etwas, das
sich mit uns beschäftigt, unseren Seelenzuständen. Selbstversenkung,
scheint uns diese Musik zuzuwerfen, als Selbstschutz, als Bollwerk gegen
eine Welt, in der Wahlen von Halbirren gewonnen werden, das Kapital wie
eine amoklaufende Sichel durch die Gegend fliegt, um massenhaft Existenzen
zu zerstören und das Mittelalter ungehindert aus allen Löchern
kriecht und wieder vorwärtsmarschiert. Diese grauenhaft transparente,
weil ganz unverhohlene Sehnsucht nach irgendeiner Existenzform, die es
nicht gibt, nach etwas das das Gegenteil unsrer Unzulänglichkeit
sein könnte, dieser unsrer kaum mehr als Scheiß produzierenden
Unvollkommenheit. Wie verzweifelt muss unser Hirn sein, dass es andauernd
besser sein will als es kann? Diese ungeheuerliche Vereinfachung andauernd,
Denken nur noch in Headlines, unscharfe Begriffe überall, weil die
einfachen Antworten auf die brennenden Fragen auf Dauer denn doch ganz
okay sind, zumindest so okay, dass es nicht genug wehtut. Die Gegenwart
als großer anonymer Platzhalter für ein noch viel weiter reichendes
Unmutsgefühl. Daher der aufschießende Fantasyscheiß überall,
die blödeste Mittelalterverklärung, Sonntagabend-Depressiv-TV,
das gemütliche Abdriften in die selbstgewählte Ikea-Welt, in
die endgültige Unmündigkeit. Wenn sie dann wenigstens die Klappe
halten würden, aber nein, sie müssen missionieren gehen, loslabern
und Dinge lostreten, deren Folgen noch vollkommen unabsehbar sind. Aber
ich will selbst die Klappe halten und mich nur auf das Notwendigste konzentrieren.
In einer Welt wie dieser kann man womöglich nur noch (nach) innen
reisen. Dort findet man alles, was man braucht, wenigstens theoretisch.
Was braucht man denn? Diese Musik weiß es. Alles Fadenscheinige
der eigenen Existenz, also das was sich einem unter der Hand in Sekundenbruchteilen
so zuträumt, zerfällt sofort. Etwas fehlt, etwas stimmt nicht,
das weiß man ja, das ist eh das Grundgefühl, mit dem man die
Straße betritt. Eigentlich wird mit dieser Musik alles noch schwerer
erträglich, weil sie einen Fingerzeig darauf bietet, dass alles ganz
anders sein könnte. Und zwar so, wie es eben gerade nicht sein kann,
schon gar nicht auf Dauer, schon gar nicht mit uns, dir oder mir.
Also leuchtet diese Musik als Utopie durch die Zwischenräume, die
Äste der Bäume. Beziehungsweise andererseits als Kostümbild
des Scheiterns, der mit wenig Hoffnung ausgestatteten glimmenden ständigen
Unruhe. Nehmen wir einen Track wie Neo vom neuen Album Mare
hier zieht sich etwas zusammen wie eine Katze, die sich zum Schlafen
eingerollt hat. Oder Youth, das ganz unverhohlen von den abertausenden
vergangenen Sommern erzählt, in denen so etwas wie Kindheit stattfand
und für immer vorbei ist, nur um sich dann in Lid auf
eine alte Bass-Sequenz zu verlassen und einen gehauchten, gemurmelten
Gesang anzustimmen, der selber merkt, dass er sich nicht recht entscheiden
kann zwischen Klage und Neuanfang und den gesamten Track lieber in Schönheit
ausbrechen lässt, Schönheit, deren trauriger Glanz sich im Laufe
des Albums immer mal wieder zurückzieht, wie in Athlete
und Vind, um irgendwo anders als im Track selbst zu überwintern.
Hier unterbricht sich quasi das Wissen, dass alles Wissen nur Wissen vom
Tod ist.
(Christian Löffler Mare, Ki Records, Hamburg 2016)
Marcus Roloff |