Gepfropftes Hirn
Fußboden für eine Lesung (Einleitung zu einer Lesung von "Hirn ohne Grenzen")

Es pfropft, es pelzt, ist gut gefüttert, das dicke Wortbild, denn das wortproduzierende Hirn bedient sich hier beinahe durchgehend einer kulturwissenschaftlichen Kategorie, nämlich jener des Pfropfens und Pelzens, oder wie man es auch nennen könnte, des Flauschens, Plüschens und Aufpfropfens. Warum? Ohne es wäre dieses Buch vielleicht zu kalt, denn wenn man es auszöge, ihm den Pelz abnehme, dann stünde man nackt in einer Eiseskälte, die schwer erträglich einen fröre – doch rein durch den Kunsttrick des Pelzens erwärmte. Eichberger ummantelt seinen Sprechakt und dadurch nimmt dies Kälteste hie und da plötzlich eine wärmende Wendung, nämlich direkt im Pelz beginnt es kalauernd zu schwitzen, als trüge dies Hirn ohne Grenze im Sommer eine Papacha aus wuschelnden Fuchsschwänzen, um es dann auch noch kichern zu lassen, während es in einem selbst noch stockt, das Grinsen ein eisig Grinsen ist, vom Schock des zuvor gelesenen. Doch er, Eichberger, wirft uns den Theoriemantel hin, Echtfell, und rettet den Leser, in dem er die steifen Mundwinkel langsam antaut. Ist es ein Tau(sch)spiel? Findet das Denken die Theorie, oder baut es sich auf dieser erst auf? Immer wenn das Ich, das keinesfalls Eichberger ist, wie es vor sich selbst betont, im Fortschreiten des Plüschens pfropft, was bedeutet, dass es durch Iteration sein Geschriebenes doppelt, sprich durch Unterlegung von Zitaten, Anspielungen oder Anleihen aus Philosophie oder Literatur (wir fanden u.a. Derrida, Wittgenstein, Watzlavick, Brodsky), durch Unterlegung von Systemen, aus Neurobiologie und Konstruktivismus, dann erhält dies Ich eine Pauschalität der theoretischen Untermauerung dessen Einzelgedanken. Auf vermutlich unterschiedliche wissenschaftliche Systeme hat Eichberger den Denk- und Reflexionstrieb seines Nicht-Ichs aufgepfropft, er verschiebt Grenzen dieses Ichs, die eigentlich nicht überschreitbar sind weit, das bedeutet, er schafft eine möglichst große Differenz, „La Différance“, zwischen diesem Ich und dessen dazugehörigem Hirn. Er wünscht eine Trennung herbei, eine Dualität, nicht im Sinne einer Körper-Seele Dualität, sondern einer Hirn-Ich Dualität, falsch. Nicht nur eine Dualität wünscht dies Ich sich, sondern eine Spaltung, eine Abspaltung. Was er schafft, ist zumindest eine Dichotomie. Hirn und Ich stehen sich gegenüber und betrachten einander. Ich und Hirn, Erde und Himmel, Sommer und Winter.

Eichberger bedient sich, meiner Einsicht nach, der Greffologie, einer Figur, einer Metapfer auch für das Verhältnis von Kopie und Original. Das ist tapfer. Denn man weiß es nicht, ob das Ich, das nicht Eichberger sein soll, vielleicht eine Kopie, ein Simulacrum Eichbergers etwa ist. Oder: Matrjoschka erzählt eine Geschichte über Matrjoschka. Unendlich fortsetzbar.

Dann und wann ist in der permanenten performativen Pfropfung die kindliche Freude zu erkennen, die Eichberger im wilden Herumpelzen empfunden haben muss, denn die Leichtigkeit, mit welcher er dies zu vollführen scheint, erfordert eine zuvorgegangene Verinnerlichung der unterschiedlichsten, bereits erwähnten Denkmodelle.

Eichbergers Nicht-Sein-Ich, wünscht sich an einer Schlüsselstelle des Werks nur einmal ohne sein Hirn, ohne Gedächtnis und Erinnerung, ohne Gedanken unterwegs zu sein. Doch nicht und nicht gelingt es ihm, denn leider ist es nicht möglich, seinem Hirn zu entfliehen, geschweige denn ihm etwas zu verheimlichen.

Ganz anders und ungepfropft dramatisch wird es dann, wenn das ich, das nicht Eichberger sein soll, sich plötzlich gegen seine Mutter und seinen Bruder stellt, sehr persönlich wird und die beiden in einen dunklen Graben stößt, ganz tödlich fast, hier: pelz- und pfropffrei hingestellt, das Nahe fortgeschickt. Dort war ich als Leserin allein, ohne Schutz und Mantel einer Theorie, dort wurde Fall, was offenbar noch kein Modell gefunden hatte. Es fiel. Dies Ich, das keinesfalls Eichberger auch hier ist, meint jedoch an anderer Stelle, es gäbe keine Wirklichkeit, diese sei nur Konstruktion des Ich-bildenden Hirns, auch dort, eben dort? Die Frage ist, ob sich das Nicht-Ich Eichbergers nicht gegen seine eigenen Theorien stellt, denn wichtig für den künstlerischen Schaffungsprozess ist, und das weiß gerade dieses Ich, nicht das Subjekt und hier widerspricht es doch den selbst angewandten Modellen, denn Postulat des radikalen Konstruktivismus ist die solipsistische These, es würde allein nur das eigene Ich existieren.

Nun aber, Vorhang auf, für dies einzig existente dichotome Ich:


Verena Stauffer


Eichberger, Günter: Hirn ohne Grenzen. Ritter Verlag, Klagenfurt, 2017