»Ganz unten,
mit Lichtpunkten«
Schiedsgerichtliches Urteil zum lyrischen Springreiten 2006
Meldung (dpa): »Von den 108 Autoren, die im soeben erschienenen
»Jahrbuch der Lyrik 2006« mit insgesamt 129 Gedichten am Start
sind, bestehen lediglich 26 [±5] Autoren mit ca. 30 [±10]
Gedichten den lyrischen Idiotentest® des Rezensenten.« Aus dieser
Bewertung ergab sich aufgeschlüsselt das folgende Ranking:
»bemerkenswert« [11]:
[N. Schmid (18), K. Koepsell (46), S. Anderson (66), A. Rautenberg (75),
M. Rink (79), E. Erb (81), M. Bonné (104), F. Mayröcker (111),
O. Pastior (127, 154), D. Falb (139), U. Draesner (155)]
»bewahrenswert« [15]:
[M. Hefter (20), N. Küchenmeister (21, 27, 31), T. Böhme (22),
J. Kuhlbrodt (26), J. Schwedes (28), J. Wagner (42), N. Kobus (80), H.
Christa (82), H. Thill (84), S. Popp (103), C. Filips (114), N. Bleutge
(115), A. Glusgold (117), A. Altmann (118), M. Buselmeier (137)]
Die angesetzten Kriterien waren vergleichsweise simpel, dafür nachgerade
deppensicher: »sprachliche Originalität und Verarbeitung«®,
»gedankliche Dichte«®, »emotionale Tiefe«®
und »kompositorisches Gelingen«® hießen ganz allgemein
die Hürden, die hier zu nehmen waren. Wir hatten dazu im einzelnen
zwölf Elemente aufgerichtet – wer alle klar bezwang oder auch
klug umschiffte, der wurde notfalls auch gegen seine Willen in die Spitzengruppe
»bemerkenswerter Beitrag« aufgenommen. Wo Pegasus an einem
Hindernis leicht anschlug (am ehesten wurde ein Straucheln am Merseburger
Doppeloxer »lyrisches Übermaß/ herzgreifendes Wunder«
hingenommen), fand sich am Ende doch glücklich in der zweiten Gruppe
wieder; entsprechend schwankt die Qualität der Texte hier zwischen
»nachgerade erleuchtet« und »durchaus gedankenträchtig«
– nun, wie dem auch im einzelnen sei, diese subtile Ausfeilung wird
sich ohnehin von Leser zu Leser unterschiedlich gestalten.
Natürlich fanden sich auch unter den übrigen Beiträgen
vereinzelt erhebende Verse und poetische Eigenschaften, aber wirklich
überzeugende Gedichte eben nicht. Das eigentlich Betrübliche
liegt denn auch nicht in der geringen Zahl der Spitzen und gelungenen
Texte, sondern in der überwiegenden Masse nichtssagender, verpeilter,
bemüht humoristischer oder anderweitig sinnträchtiger Gebilde,
die dafür verantwortlich zeichnen, dass wir der Sammlung insgesamt
leider nur das Prädikat »ein Hort der Pein« (Goethe)
verleihen können – ein, zugegeben, in diesem Metier recht häufig
geprägtes Siegel. Daran vermögen auch der neue Verlag und die
diesem sich verdankende buchtechnische Aufwertung nichts zu ändern,
ebenso wenig der verdienstvolle Ansatz des diesjährigen Mitherausgebers
Norbert Hummelt, die Zahl der seit mehreren Jahrzehnten regelmäßig
vertretenen Betriebspoeten zu reduzieren.
Woran hat`s nun gelegen? Haben Buchwald und Hummelt als Turnierrichter
versagt oder die Dichter in ihren Rösselsprüngen? Wie dem auch
immer sei, wir wagen jedenfalls nicht zu ahnen, dass alle ihr Bestes gaben,
dass dieses Jahrbuch nichts anderes darstellt als einen Abdruck der traurigen
Wahrheit.
Da die Einsendefrist für das kommende Jahrbuch der Lyrik 2007 (Mitherausgeberin
ist diesmal Silke Scheuermann) bereits verstrichen ist, möchten wir
immerhin mit Blick auf das Jahrbuch der Lyrik 2008 (und alle weiteren)
dazu aufrufen: Leute, schreibt bessere Gedichte – und schickt sie
auch ein! Der S.Fischer Verlag hat ein schönes Buchformat vorgelegt,
es sollte mit anspruchsvollen, mutigen und klugen Texten gefüllt
werden.
Schiedsgericht »Metrische Gegenwart im deutschen Trabraum«®
Amtierender Rittmeister A. Winterer
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